07.05.2024
Tag 11 | Reservetag; Bayonne - Lourdes - Bayonne per Eisenbahn; Spaziergang 12 km
Zweimal war ich in meiner Jugend in Lourdes und habe kaum Erinnerungen daran. Der Gnadenort in den Pyrenäen ist auch so abgelegen, daß man einen Besuch auch nicht mit anderen Reisen verbinden kann. Er erheischt eine eigene Wallfahrt. Von Bayonne freilich, wo man ja auch nicht so leicht vorbeikommt, ist es mit der Bahn nur ein Abstecher von rund eineinhalb Stunden in eine Richtung und ich habe ja zusätzlich zu den Ruhetagen noch einen Reservetag! Kurzentschlossen nutze ich ihn zur Bahnwallfahrt in einen der bedeutendsten Gnadenorte der katholischen Christenheit.
Anno 1858 hatte das halb analphabetische 14jährige Mädchen Bernadette Soubirous in der Grotte Massabielle achtzehn Mal die Erscheinung einer jungen Dame in weißem Kleid mit blauem Gürtel und goldenen Rosen an den bloßen Füßen. Schon nach den ersten Erscheinungen erregte das Mädchen mit seinen Erzählungen große Aufmerksamkeit, sodaß ihm zahlreiche Neugierige zur Grotte folgten und die Behörden Bernadette einer strenger Befragung unterzogen.
Daß sie den kirchlichen Behörden sagte, die Dame hätte sich als "unbefeckte Empfängnis" zu erkennen gegeben, gab den Ausschlag, daß Rom die Erscheinungen als Bestätigung des zwei Jahre zuvor verkündeten Dogmas anerkannte. Denn dieses schlichte Kind vom Lande konnte keine Ahnung von der Komplexität und Kühnheit dieses Begriffes haben.
Im Gegensatz zu La Salette und Fatima gab es zu Lourdes keine großen Prophezeiungen, nur immer wieder den Aufruf zur Buße, der im Grunde auch bei allen anderen Erscheinungen im Mittelpunkt steht. Auf himmlischen Zuruf hat Bernadette in der Grotte eine Quelle geschlagen, die noch heute sprudelt und der tausende Wunderheilungen zugeschrieben werden. Soweit die Historie.
Wallfahrtsorte aus dem späten 19. und 20. Jahrhundert haben zunächst das Unglück, daß in ihrer Zeit kirchliche Kunst bereits im Niedergang begriffen ist und man um gutes Geld solide Sakrakarchitektur kaufen kann, der aber jeder genialischer Funke fehlt. Es ist kein Zufall, daß eine der wenigen Kirchen dieser Zeit, wo Meisterschaft und Ingenium aufblitzen, die Kirche eines Irrenhauses ist, die am Steinhof zu Wien (siehe Bilder unten).
Somit ist der Baubestand der Jahre bis zum Konzil künstlerisch uninteressant, und von den geistigen Verwirrungen danach will ich schweigen. Die unterirdische Basilika für 25.000 Menschen, die in frecher Anmaßung dem Hl. Pius X. geweiht ist, habe ich mir gar nicht anzusehen angetan.
Die Kitsch- und Devotionalienläden scheinen mir noch scheußlicher als anderswo und insgesamt ist der ganze Ort häßlich.
Und doch weht da ein Geist echter Katholizität. Viel Klerus noch als solcher erkennbar auf den Straßen, Nonnen und Mönche im Habit, Priester in Soutane und römischem Hut und sogar Bischöfe, die ordentlich gekleidet sind. Einem Priester mit Capello Romano rufe ich aufmunternd zu, daß der Herr Franz in Rom das wohl nicht gerne sieht und der Angesproche lacht breit: "Non, pas du tout!".
Das alles sind Äußerlichkeiten, gewiß! Aber wie Form und Inhalt zusammenfallen fühlt man endlich am Erscheinungsplatz, der uns unverändert das Bild des Jahres 1858 zeigt; nur in der Nische, wo Bernadette die Dame sah, steht deren Statue, die der Bildhauer Joseph-Hugues Fabisch genau nach Bernadettens Angaben fertigte.
Es nieselt und es ist kalt. Die Kniebänke vor der Grotte sind mit Betern gefüllt. Auch ich knie nieder und bete den Rosenkranz für meine Familie, die Freunde daheim und ganz besonders die Kranken.
Mir ist nicht mehr kalt. Noch nie habe ich alle drei Rosenkränze unmittelbar hintereinander gebetet, noch dazu im Regen. Irgendetwas ist da, in Lourdes...!
06.05.2024
Tag 10 | Capbreton - durch das Agglomerat - Bayonne; 20,1 km
Morgens in hellem Sonnenschein vorbei an lieblichen Häuschen, entlang der Kanäle, durch wirkliche Wälder - ich bin im Baskenland!
Hier wie an der ganzen Atlantikküste erfreut sich das Campen großer Beliebtheit. Der Campingwagen kann gar fast die Größe des Wohnhaus erreichen, was mich dann doch verblüfft, ebenso wie jener ausgesucht scheußliche Campingplatz zwischen Bahntrasse, Departementsstraße und Adour-Kanal, der sich bei näherem Hinsehen freilich als Dauersiedlungsplatz von Zigeunern entpuppt; ob ihn Sinti oder Roma bevölkern, kann ich nicht sagen.
Der mächtige Fluß Adour hat seit der Antike mehrmals seinen Lauf geändert und mündete einmal nördlich von Capbreton ins Meer. Als Bayonne zu versanden drohte, ließ König Karl IX. ihn in sein heutiges Bett umleiten - Zeugnis des segensreichen Wirkens dieses Königs, der durch die Batholomäusnacht zu Unrecht ins Gerede gekommen ist. Dabei mußte das tatsächliche Ausmaß jenes Happenings zu Paris jeden hardcore Katholiken enttäuschen, wie Leon Bloy in seiner "Auslegung der Gemeinplätze" beklagt.
Die Adour ist heute bei Bayonne ein mächtiger Industustriekanal und der Einzug in die Stadt an seinem Ufer kein Sonntagsspaziergang. Doch Städte müssen nun einmal leben, vom Handel und Wandel; und der Wandel bringt sie dann auch, die Neufranzosen, die das Bild so bunt machen.
Am Tor zur Altstadt ist ihm ein mächtiges Denkmal gesetzt, dem Kardinal Lavigerie, geboren zu Bayonne 1825, gestorben in Algerien 1892. Er gründete den Orden der Weißen Väter - dem später Erzbischof Levebvre vorstand - für die Mission in Afrika, wohl um den Menschen dort vor Ort das Himmelreich zu erschließen. Viele dieser Menschen sind nun da, rechtgläubigen Katholizismus wiederum findet man heute eher in Afrika als hierzulande.
Sonst trumpft Bayonne mit allerlei Köstlichkeiten auf. Die "Dunes Blanches" haben es mir besonders angetan, doch auch sonst ist die Patisserie hier vom Feinsten.
Am Abend gibt‘s "Cocotte de Boef", ein heißes Schmorgericht, denn es ist kalt. Dazu schwerer Regen - ich bin am Atlantik.
05.05.2024
Tag 9 | Léon - Moliets er Maâ - Vieux Boucan les Bains - Plage des Casernes - Le Penon - Soorts -Hossegor - Capbreton; 31,7 km
Nieselregen und erstmals seit Beginn der Wallfahrt leicht hügeliges Gelände, oder besser Bodenwellen.
Der Pilger hat ohnehin schon wegen des Gewichtes wenig Besitz, der ist aber umso wichtiger und Verluste wiegen schwer. Im Nieselregen habe ich meine beschlagene Brille am Außenriemen des Rucksacks befestigt, wie ich das immer tue - jetzt ist sie allerdings weg. Mir bleibt die Sonnenbrille, in einem Land ohne Sonne. Ceterum censeo: Ich bin kein Atlantiker. Vielleicht kann ich bei meinem längeren Aufenthalt in Bayonne eine Notbrille organisieren, ansonsten sehe ich die Welt eben mit den Augen der Impressionisten, scharf jedoch nur im hellen Sonnenschein.
Überreicher Trost wird bald darauf dem desperaten Pilger geschenkt, in Vieux Boucan les Bains, im "Les Têtes d‘Ail": la meilleure table du pelegrinage - ohne Empfehlung, ein Zufallsfund, und ohne Zweifel einen Michelin-Stern wert! Das Doradentartare mit Avocadoschaum bleibt in Erinnerung.
Unbebrillt dem Meere zu, endlich führt der Pilgerweg über die Dünen und nun habe ich das, was der theure Konrad Markward Weiß sich eigentlich für den ganzen Marsch erhofft hatte: Kilometer an endlosem Sandstrand. Das Bild ist atemberaubend und sowieso impressionistisch! Farben, Brandung, würzige Seeluft - ein Gesamtkunstwerk von packender Kraft!
Sehr beglückend anzusehen, jedoch sehr mühsam zu durchschreiten. Gewiß, mit bloßem Fuß im lockeren Flanierschritt ein reines Vergnügen, nicht aber mit schwerem Bergschuh und einem 20-Kilo-Rucksack.
An der Wasserlinie ist der Sand hart, und doch sinke ich ein bis zwei Zentimeter tief ein, manchmal aber auch tiefer, und manchmal muß ich vor überraschenden Wellen zurückweichen; manchmal kommen diese so schnell, daß das Schuhwerk schlußendlich doch naß ist.
8 km könnte ich hier bis zum Ziel geradeaus voranschreiten und die vom ewigen Regen reingewaschene Luft läßt mich die Berge der spanischen Küste erblicken, rund 50 km weit entfernt.
Nach einem Kilometer aber gebe ich auf und kämpfe mich über die Dünen zurück auf die Straße. Dort grüßen die Bettenburgen, ganz so, wie ich sie auch aus dem Zillertal kenne - und genau wie im Zillertal gibt es garantiert keinen Meerblick. Die Avenue du front de mer führt zwischen Hotelkomplexen und ebenso hohen Dünen hindurch.
Dann kommen moderne Häuschen von Zweitwohnsitzlern, aber geschmackvoller als im Zillertal!
Die saisonale Gastronomie öffnet erst nächste Woche, doch in einer Bar wird schon aufgeräumt und ich bitte um Wasser. Der Patron - Sportsman, Surfschulenbesitzer und sehr heutig - bewirtet den Pilger mit Liebenswürdigkeit und bittet um sein Gebet. Ich bin erstaunt. Wir setzen uns zusammen, rauchen und plaudern. Nie zuvor haben wir einander gesehen und doch ist da eine Verbindung. Er spricht zu mir von der Coronahysterie, vom Skandal des soeben von den Mächtigen unterschriebenen WHO-Vertrages, dem Irrsinn des Ukrainekrieges und dem Genozid in Gaza, der aufsteigenden elektronischen Diktatur und der Ohnmacht des Volkes. Ich höre zu, stimme zu und bin abermals erstaunt: Wie gelingt all das den Mächtigen, obwohl es dem Volk nun reicht? "Smart Management", so glaube ich, nennt man das...
Die Luft ist von schwerem Jasminduft geschwängert und sinnend über das Erlebte klopfe ich die letzten paar Kilometer herunter.
Ich komme nun durch schicke Villenviertel und das belebte Zentrum Hossegors, das ein bißchen auf "Grand Boulevard de Paris" macht.
In Capbreton mein Pilgerbier, und dann die köstliche, schwere und fette französische Fischsuppe. Die braucht‘s, am windigen Atlantik!
Großartiger Typ; mein Gesprächspartner
04.05.2024
Tag 8 | Mimizan - Bias - Saint Julien en Borne - Lit et Mixe - Saint Girons - Vieille - Léon; 40,3 km
Gott ist gut, der Pilger dankt! Tadelloses Pilgerwetter, morgens etwas frisch bei 8°, bewölkt und gelegentlich Sonne, nachmittags dann bis zu 17°. Damen, die meinen Weg begleiteten, geißelten mich stets als weibisch, was das Wetter anlangt. Sie mögen Recht haben, ich mag den Regen nun einmal nicht leiden. Ich bin kein Atlantiker!
Heute wettermäßig kein Grund zur Klage, dazu noch gute Infrastruktur in den Ortschaften. In Lit et Mixe sehe ich aus der Ferne einen bemerkenswerten Kirchturm mit Unserer Lieben Frau von Lourdes - von hier aus ist Lourdes nicht mehr sehr weit. Sie ruft mich wohl zu einem Besuch...
Landschaftlich im Westen nichts Neues: Holzplantagen; ich bleibe auf der Straße, die mir mindestens 8 km Umweg durch die Insektennester erspart. Ein überaus freundlicher alter Herr will mich auf den Pilgerweg zwingen und hält seinen Wagen, um mich buchstäblich an der Hand auf den rechten Weg zu führen. Ich lehne dankend doch bestimmt ab, was ihn erzürnt: "Vous voulez vous tuer", "Sie wollen sich wohl umbringen", ruft er mir beim Wegfahren zu und spuckt aus. Pas encore !
Hübsche Fachwerkhäuser am Weg und ich frage mich, wann die Fachwerkhäuser in Österreich eigentlich verschwunden sind. Am Schottenaltar auf der ältesten Stadtansicht Wiens sieht man sie noch und in der Oberstadt von Bregenz haben sich ein paar erhalten; sonst ist meine Heimat eine der wenigen Regionen Europas ohne diese attraktiven frühen Fertigteilhäuser.
Alle Orte am Weg anmutig mit lockender Kulinarik; der Verkostung des Tariquets zu widerstehen - eines trockenen lokalen Weißweins, den mir der theure Konrad Markward Weiß erstmals vorgestellt hat - zwingen mich die 20 km, die noch vor mir liegen.
Sonst spielen alte weiße Männer mit schönen alten Autos, konkret schrauben zwei Mann an einer Citroën-Ente, dem berühmten 2Cv, dem erfolgreichsten Modell der französischen Automobilindistrie, von 1949 bis 1990 fast 4 Millionen mal gebaut. Nur die Gemeischaftsproduktion von Ferdinand Porsche mit dem sonst als Autodesigner nicht weiter in Erscheinung getretenen Adolf Hitler konnte als VW-Käfer, produziert von 1938 bis 2003, diesen Rekord schlagen.
Ein Missionskreuz am Weg erinnert an die einst auch bei uns gebräuchliche Übung, die geistliche Formation der Ortschaft auf Vordermann zu bringen. Da kamen meistens zwei Kapuziner von auswärts, blieben ein bis zwei Wochen, predigten den Kathechismus und nahmen am Ende ihres Aufenthaltes die Beichte ab; sehr hilfreich, wenn man den Ortspfarrer zu gut kannte; gewissermaßen Exerzitien für die Dorfgemeinschaft. In Vieille geschah dies 1939; müßig zu erwähnen, daß der Brauch seit dem Konzil völlig abgekommen ist.
Auch Léon macht einen guten Eindruck, und auf die französische Küche ist immer Verlaß.
Wenn es jetzt noch wärmer werden sollte, geht es dem Pilger wie Gott in Frankreich!
03.05.2024
7. Tag; Parentis-en-Born - Pontenx-les-Forges - Saint Paul en Born - Mimizan; 25,3 km
Sonnenschein; Nieselregen; kurze kräftige Güsse mit Hagel; Sonnenschein;
dazu stets ein scharfer Wind. Ich werde nie Atlantiker !
Ab Mittag bloß Sonne und Wolken; immer kalter Wind.
Marsch durch die Holzplantage an der Départementsstraße, da weiche ich den Insekten aus.
Ein Waldspaziergang wär’ das ohnehin keiner geworden, da die konsequente
und segensreiche Aufforstung durch Napoleon III. rationale Baumreihen gezogen hat,
Kilometer um Kilometer. So entstand die größte zusammenhängende
Forstfläche Westeuropas; aber Wald ist das keiner.
Schnurgerade 15 km bis Pontenx-les-Forges. Die Forges, die Schmieden,
gibt es längst nicht mehr, ebensowenig wie die Porzellanproduktion.
Beide gingen auf das dynamische Wirken des Grafen von Rollye zurück.
Dessen Schloß findet ich ebensowenig wie ein geöffnetes Speiselokal.
Auf den Stufen des Bureau Tabac verzehre ich die letzten Reste der
charcuterie und trinke einen Kaffee aus dem Pappbecher, den man hier bekommt.
Vor der Kirche - die sogar offen und bewohnt, aber ohne größere Reize ist -
wohl Fragmente eines Kreuzganges aus dem 13. Jh., im Weltnetz kann ich
nichts darüber finden. Sehr hübsche Kapitelle.
Vorbei an Landhäusern von gestern und heute - der Vergleich macht uns sicher.
Die dürre Infrastruktur der Landes bringt mir heute eine kurze Etappe ein, nur 25 km.
Am See von Aurelhian nächst Mimizan finde ich ausgezeichnete Unterkunft mit exquisiter Küche -
nach zwei Tagen ist eine warme Mahlzeit doch recht angenehm.
Die Leichtigkeit des Pilgerlebens will noch nicht so recht aufkommen,
vielleicht der ewigen Kälte und der dürren Infrastruktur geschuldet.
Dies hat aber auch Vorteile. Seit Royan ist mir kein einziger Exot begegnet.
Die sind nämlich auch nicht blöd und besiedeln keine unterentwickelten Gebiete
wo sie doch selbst aus unterentwickelten Gemarkungen kommen.
Kinder sieht man auch kaum. Ich bin im Rückzugsgebiet des alten weißen Mannes!
02.05.2024
6. Tag; Arcachon - La-Teste-de-Buch - Sanguinet - Parentis-en-Borne; 42,5km
Wetter wie erwartet: 8 -12 Grad bei dauerndem Nieselregen; die Versuchungen lauern am Beginn des Tages: die ersten 1 -2 Stunden führt der Weg an Austernbecken, Austernbars, Weindegoustationen und erlesenen Pâtisserien vorbei; doch alles noch viel zu früh am Tage. ‘ Ich wendete mich nicht…’, denn heute ist es weit.
Der Weg ist weder vom Gelände noch von der Routenplanung anspruchsvoll. Nach der Agglomeration von Arcachon geht es nur mehr kerzengerade auf der Departements Straße nach Süden, 42km lang. Dazu die Nässe , die nach einigen Stunden auch die beste Funktionskleidung durchdringt.
Sanguinet erreiche ich kurz vor 15:00. Pech gehabt, denn in Frankreich sperren die Küchen dogmatisch um 14:00!
Gnaden halber richtet man mir ‘Charcuterie’ , die übliche Bretteljause , die in Italien Tagliera heißt und irgendwie immer das Gleiche ist. Die Cornichons, die kleinen französischen sauren Gürkchen sind hierzulande herausragend, dafür ist der Schinken herausragend schlecht.
Mein Hauptinteresse ist sowieso nur irgendwie mein Zeug ein wenig zu trocknen, besonders das Mobiltelefon, von dessen Funktionieren ich abhängig bin. Nach einer Stunde weiter , stumpf und stur durch die französische Agrarindustrie und die Kiefernwälder.
Ich bin in der Landes eingetroffen.
Irgendwann hilft dann nur noch die Geheimwaffe des Rosenkranzes, des’ Maschinengewehrs Gottes’ , wie ihn Pater Wallner aus Heiligenkreuz nennt.
In Parentis en Borne treffe ich vòllig durchnäßt kurz vor 20:00 ein. Allein auf meiner Landkarte erkenne ich 8 Gastwirtschaften in dem kleinen Ort , die aber alle geschlossen haben, weil 1. Mai ist. Ich habe diesen Tag nie gemocht.
Sei’s drum! ‘Wenn Fasten dann fasten, wenn Rebhuhn dann Rebhuhn!’ sagte die Hl. Teresa von Avila. Gut, gestern hatte ich Rebhuhn bzw. Austern, so hole ich heute das Fasten nach.
Flüssiges Brot konnte ich immerhin organisieren!
01.05.2024
Tag 5 | Ruhetag: Arès - Andernos-les-Bains - Arcachon; 8,4 km
Ein Ruhetag; mein Pilgerbruder und treuer Freund kämpft am Morgen mit mir die letzten 3 km am Strandweg herunter; immerhin, er bekommt was er ersehnte: la balade au bord de la mer!
Dann endlich Schifferlfahren - 50 min für ca. 10 km, das Bassin d’Arcachon querend; Touristenschiff mit neu eingespritztem Ursprungsfranzosen als Kapitän. Er trägt in frecher Aneignung schmucke Rastalocken, gibt aber sachdienliche Hinwiese, unter anderem, daß Kaiserin Eugenie, die Gemahlin von Napoleon III., ...
... hier ihre eigenen Austernbänke nebst allerhöchsten Austernwächtern unterhalten hat; und dass die Boote für das Bassin d' Arcachon speziell gebaut sind, da der Meeresgrund hier oft nur 30 cm unter dem Kiel liegt. Geographisch eine Extravaganz des lieben Gottes - eine enorme Bucht, die nur bei Flut befahrbar ist.
In Arcachon verweigere ich meinem Freund die Option zum Hypertourismus: Die höchsten Düne Europas (120 m) will ich nicht besteigen, und ebensowenig den Villenschönheiten jüdischen Geldes im Dekorum des 19. Jh. nachforschen.
Ich will jetzt nämlich zu Mittag essen, und das ohnehin spät! Als Mahl begann’s, und ist ein Fest geworden, am Hafen! Und mein theurer Pilgerbruder erfreut sich noch an einem letzten Naturwunder vor Seiner Abreise : dem Apfelarsch der Kellnerin.
Viel' Austern jedenfalls, und sehr viel Bordeaux, und dann reichlich Rosé; und zum Abschluss ein klassischer Trunk der Kolonialfranzosen in deren weitem und heißem Kolonialreich: Cognac-Perrier, auf Eis!
Mein Freund verläßt mich nun, und mir graut vor morgen: an die 40 km und vermutlich Dauerregen.
Ein Trost bleibt: Von Bordeaux bis Bayonne, ja, an der ganzen südlichen Atlantikküste, verregnet’s den Genossen den Maiaufmarsch!
30.04.2024
Tag 4 | Moutchic - entlang dem Etang de Lacanau - Lège-Cap-Ferret - Arès; 32,3 km
Mein hoher Schriftleiter und theurer Pilgerbruder Konrad Markward Weiß ist vom See derart bezaubert, daß er hier mehr Zeit verbringen und also später mit einem Kraftwagen zum Zielpunkt nachkommen möchte. Er hat gut daran getan, denn was mir dann begegnete, hätte ihm wohl nicht gefallen.
Die Schauwerte des Tages beschränken sich auf die lieblichen Gestade des Steppensees, der nur rund 7 m tief ist und and den Neusiedlersee erinnert; freilich ohne jede Infrastruktur. Den ganzen Tag über berühre ich keine Ortschaft, ernähre mich von den kümmerlichen Resten des Frühstücks und halte mit meiner Wasserflasche Haus.
Nach hübscher Eröffnung am See bricht der eingezeichnete Weg unvermutet ab. Er ist großflächigem Kahlschlag zum Opfer gefallen; die Baumwurzeln sind nach oben gekehrt und ich navigiere zwischen Erdtrichtern und Totholz.
Deo gratias hat Putin in Westeuropa das GPS-Signal noch nicht lahmgelegt und so kann ich die Richtung halten.
Kurze Rasten sind nicht möglich, da ich schon beim Gehen von den gefürchteten Mouches de Pin, einer lokalen Art höchst aggressiver Bremsen, aufgefressen werde. Ich habe die Mistviecher noch von meinem letztjährigen Marsch durch die Landes in ungünstiger Erinnerung.
Diesen Abschnitt hinter mir, stelle ich mich auf einen ruhigen Weg entlang eines Kanals ein, der allerdings bald durch einen nicht verzeichneten Wasserlauf unterbrochen wird. So lege ich Schuhe und Strümpfe ab, um durchzuwaten und vermute eine Wassertiefe bis zu meinen Waden. Der Untergrund jedoch ist elender Treibsand und ich sinke bis über die Hüften ein, dann schaffe ich es durchnäßt heraus.
Beim Ankleiden molestieren wieder die Insekten und in die Fußsohle ziehe ich mir einen Dorn ein.
Nichts ist bei Pilgermärschen enervierender als entäuschte Hoffnungen. Meine Landkarte interpretiere ich so, daß nun ein schnurgerades Straßenstück folgt. Tatsächlich handelt es sich aber eine Stromleitung mit einem Sandzufahrtsweg darunter; und der feine weiße Sand ist knöcheltief.
Durch Schnee zu stapfen ist mühsam, durch Sand zu stapfen weit mehr; und überall in der Kleidung, den Ohren und dem Mund ist bald ebenfalls Sand. Die 6 oder 7 km auf diesem Abschnitt gehören zu den Mühsamsten, die ich je passiert habe; und es dauert!
So hab’ ich mich kaum je zuvor derart über Asphalt unter meinem Bergschuh gefreut.
Lège-Cap-Ferret umgehe ich und treffe naß und erschöpft um 19:30 in Arès ein. Morgen wird Schifferl gefahren - denn Wasserfahrzeuge sind dem Pilger erlaubt!
29.04.2024
Tag 3 | Hourtin Bourg - Carcans - Moutchic am Étang de Lacanau; 27,8 km
Der Tag beginnt mit einer Überraschung: Die Sonne scheint und in Hourtin gibt es eine Sonntagsmesse : neuer Ritus, keine Exzesse und Extravaganzen; überaltertes Publikum in Orantenhaltung. Danach vor der Kirche Austerndegustation - der hiesige Würstelstand; beides probiert, kein Vergleich!
Ansonsten im Westen nichts Neues: 12 km schnurgradaus bis zum Mittagessen in Carcans.
Der Ort war einst prominent am Jakobspilgerweg und hatte dafür eine eigene Bruderschaft. Die Kirche finden wir mittags geschlossen, sie soll eine barocke Statue Santiagos bewahren.
Sonntag ist, und das Dejeuner fällt in der ausgezeichneten Brasserie üppiger aus als sonst, was sich am weiteren Weg freilich durch Müdigkeit rächen wird. Zickzack durch die Pinienwälder von nun an bis zum Abendessen. Gelegentlich hübsche Moorlandschaft und stets tief versandete Wege.
Die beiden Sehenswürdigkeiten des Tages sind ein klassischer Wachturm, der wohl dem Brandschutz dient , aber auch in einen Straflager gute Figur machte und ein als Monumentalkiefer behübschter Sendeturm , das Dekor in wetterbeständigem Plastik gehalten.
Die Weinlagen des Medoc sind weit, wir wandern durch Moore, Wälder und Seenlandschaft.
Am Teich von Lacanau schließt der Tag wie er begonnen hat: mit Austern, dazu agreabler trockener Weißwein aus dem Bordeaux. Der fromme Schriftleiter und theure Weggefährte höhnt dafür den "prallen Pilger". Er hat keine Ahnung!
28.04.2024
Tag 2 | Montalivet - Le Pin Sec - Hourtin Plage - Contaut - Hourtin Bourg 31,6 km
Auch morgens keine Nudisten in Montalivet; es bleibt kalt und nieselt; Morgenmarsch durch den Pinienhain, zunächst ohne Regen, 300 - 400 m neben dem Meer, das hinter Wald und Dünen für uns unsichtbar bleibt. Wir hören die Brandung und stapfen recht mühsam durch den Sand.Endlich gilt es eine Düne zu erklimmen und der Blick weitet sich auf den Ozean. Der Atlantikwall der Deutschen Wehrmacht steht noch immer. Zu solide sind die Betonbunker, als daß Wind, Wetter und politische Widrigkeiten sie wegräumen hätten können. Beschmieren kann man sie immerhin und so urbanes heutiges Flair herbeizaubern.
Am Atlantikwall
Das Herz meines halbfranzösischen Freundes lacht trotz aller Unbill des Wetters. Er schwärmt von unendlichen Sandstränden, raffinierter Vielfalt der Farben des Wassers, wilder Brandung und schier unendlicher Weite. Endlich kann er auch über den Strand wandern und die würzige jodierte Luft im einsetzenden Nieselregen genießen. Ich bevorzuge das Mare Nostrum, die vertraute mittelmeerische Badewanne mit kleinen Buchten, lieblichen Fischerhäfen und einladenden Strandbars.
Ich war nie ein Atlantiker, vielleicht weil die oft im Regen stehen. Im "Le Pin Sec" - "Zur trockenen Kiefer" - finden wir Möglichkeit zu einem frugalen Inbiß; im Freien, ohne Flugdach, in Wind und Regen. Hier ist nichts "sec"! Ich bewundere eine atlantische Familie, die unter dem Regenschirm stoisch in sich hineinlöffelt. Ich war nie ein Atlantiker.
Wir finden einen Unterterschlupf und warten das ärgste Unwetter ab. Endlich klärt es ein wenig auf, dann zeigt sich gar die Sonne.
Munter weiter auf der Départementsstraße nach Hourtin Bourg, ein Umweg, der aus Quartiergründen notwendig war. Das einzige Hotel weit und breit hat sein Speiselokal am Samstag Abend geschlossen, uns aber allerlei Kaltes gerichtet. Hunger ist der beste Koch.
Die Flasche Rotwein tröstet jedenfalls.
Durch das Moor
27.04.2024
Tag 1 | 32,8km Royan - le Verdon - Soulac sur Mer - Montalivet
Mein Schriftleiter beim ‚Eckart‘ , Verleger und theurer Freund Konrad Weiß wird mich die ersten Tage begleiten.
Seit Vorgestern habe ich mich mit ihm auf das Land seiner mütterlichen Familie eingestimmt, die Charente Maritime; wir haben die Cognac Destillerie seines Cousins in Breville besucht und diesem Brande heftig zugesprochen, Maremmes, die Welthaupstadt der Austern gesehen und dort gleichfalls herzlich zugelangt - jetzt aber los!
Unser Ausgangspunkt Royan , einst chicer Ferienort an der Atlantik Küste wurde von den Alliierten in die Moderne gebombt und besticht aus der Ferne mit dem Betonmonstrum seiner Pfarrkirche. Von weitem bestimmt es die Silhouette des Ortes und zitiert den Bug eines Schiffes in diesem maritimen Ambiente; innen meine ich im Thronsaal Satans zu stehen.
Noch lange können wir dieses Statement der Moderne schauen, da wir das Schiff über die Gironde, die hier das größte Mündungsbecken Europas ausbildet, ins Medoc nehmen.
Nicht viel los hier im Medoc; der Wein wächst weiter im Süden; hier Dünen und Pinienwälder. Wir wandern entlang der Atlantikküste und sehen gerademal das Meer, wenn wir eine Düne besteigen; sonst gleichförmig grüne Alleen.
In Soulac , einem lieblichen Küstenort , zu opulenter Mittagstisch - wir sind in Frankreich. Sei’s drum, es ist kalt, mal regnet es, dann wieder nicht, und immer bläst eine steife Meeresbrise.
Die Alliierten haben hier vergessen zu bombardieren, also haben sich die schmucken Villen erhalten, oft recht klein, gewissermaßen avancierte Reihenhäuser aus der Epoche der Schönheit.
Die waren auch die ästhetischen Höhepunkte des Tages. Im Nieselregen durch Pinienheine.
Montalivet ist angeblichen das Zentrum der Freikörperkultur am Atlantik. Auch diesbezüglich nicht viel los. Es ist kalt.
07:57 | Leser-Kommentar
Dem Pilgerer die Besten Wünsche für den langen Marsch. Das Wort Partisanen habe ich lieber weggelassen.
Das da nichts durcheinander kommt.
26.04.2024
11:41 | b.com: Es geht wieder los
Wie schon 2023 dürfen wir auch heuer wieder den Partisanen der Schönheit auf seiner Pilgerreise begleiten. Jeweils um einen Tag zeitversetzt werden wir seine Beiträge und Bildstrecken auf bachheimer.com bringen, damit wir an seinen Gedanken, Erkenntnissen teilhaben können und kosten-, blasen- und schmerzfrei das Erleben eines Pilgers in etwa nachvollziehen können. Heuer geht es von Royan (Frankreich) in 40 Etappen über 1.100 km nach Santiago de Compostella (siehe Karte unten). Wir wünschen dem Partisanen aber auch unseren Lesern "Buen Camino"! TB
Zur Einstimmung empfehle ich unser Kamingespräch, welches wir nach seiner Rückkehr im vorigen Jahr geführt haben Bachheimer&Goldvorsorge: Ein Galahemd auf Pilgerreise
Wer noch Erinnerungen vom vorigen Jahr aktivieren möchte, der möge diese Rubrik (neudeutsch) klicken: Der Partisan der Schönheit auf Pilgermarsch