Zuerst müssen wir klären, was die SNP unter dem Begriff Unabhängigkeit versteht. Im Referendum 2014 konnten die SNP zwei grundsätzliche Fragen nicht beantworten: a) wird Schottland als unabhängiges Land die englische Währung und die englische Zentralbank weiterhin benutzen dürfen und b) kann Schottland sich innerhalb der EU von GB abspalten und trotzdem in der EU bleiben und so ein Beitrittsverfahren umgehen. Spanien war wegen Katalonien nicht bereit, b) zu garantieren und London hat a) definitiv abgelehnt.

Es geht den Schotten nämlich gar nicht um Unabhängigkeit nach dem Vorbild Norwegens oder Islands oder der Schweiz. Sie streben nicht einmal so viel Unabhängigkeit wie Hong Kong an, das immerhin ein eigene Börse und eine eigene Währung hat. Die Schotten wollen nämlich keine eigene Währung, keine eigene Zentralbank, keinen eigen Kapitalmarkt, keine eigene Armee und wollen auch nicht in jedem Land der Erde eine eigene diplomatische Vertretung finanzieren. Laut Umfragen wollen die Schoten auch nicht den Euro, sondern den Pfund als Währung. Es geht den Schotten um zwei Dinge: Um größere politische Autonomie und um mehr Wohlstand. Die Frage ist, haben sie dies eher als Juniorpartner von England im Vereinigten Königreich oder als ein Satellitenstaat von Brüssel in der Europäischen Union.
Der wesentlichste Punkt ist folgender: Wenn sowohl England wie auch Schottland Mitglieder der EU sind, dann macht es ohne Zweifel mehr Sinn für Schottland als „unabhängiges“ Land zu agieren. Warum sollte Schottland als autonome Region über den Umweg der Londoner Regierung in Brüssel Lobbying für Schottland betreiben, wenn es die Möglichkeit hätte, als gleichberechtigtes Mitgliedsstaat unmittelbar mit Brüssel zu verhandeln, neben England im Ministerrat vertreten zu sein und über einen Vertreter in der EU Kommission zu verfügen. Wenn die EU und die Engländer zulassen würden, dass Schottlands Finanzen weiterhin von der Bank of England geregelt würden und der Pfund die Landeswährung bliebe, dann wäre ist die Utopie perfekt.

Wenn aber England aus der EU austritt, dann muss Schottland eine andere Entscheidung treffen.

Schottland muss in dem Fall eine Zentralbank gründen, muss den Euro als Währung annehmen, verliert alle Förderungen aus Großbritannien und muss Zuwendung in gleicher Höhe von der EU erhalten. Die Frage ist, ob die EU Schottland nicht lieber als Nettozahler einstufen möchte. Großbritannien ist Nettozahler, warum sollte Schottland plötzlich von der EU Geld erhalten? Norwegen ist nicht einmal EU Mitglied und muss für EU Leistungen bezahlen. Dazu kommt der Umstand, dass England seine politische Freiheit zurückerlangt, während Schottland durch den EU Beitritt auf seine politische Handlungsfreiheit unwiderruflich verzichtet. Schotten werden neben Rumänen und Polen um ein Arbeitserlaubnis ansuchen müssen, wenn sie südlich der Landesgrenze arbeiten oder leben wollen.

In der Frage der schottischen Unabhängigkeit geht es darum, welche Lösung den Schotten mehr Selbstbestimmung und mehr Geld bringt. Wenn England aus der EU austritt, ist diese Berechnung eine andere als wenn England und Schottland beide EU Mitglieder sind. Ich bin gar nicht sicher, dass im Falle eines BREXIT diese Berechnung zugunsten der EU ausfallen wird. Hingegen, wenn England in der EU bleibt, ist es klar, dass Schottland in eigenem Interesse das Vereinigte Königreich verlassen sollte.

Zum Schluss zwei Beobachtungen am Rande
Das schottische Parlament kann den EU Austritt Großbritanniens nicht verhindern. Die schottische Regierung kann keine Volksabstimmung mit rechtsverbindliche Wirkung ansetzen, höchstens eine Volksbefragung. Nur das Westminster Parlament kann eine gültige Volksabstimmung ansetzen. Dies wird das Parlament erst beschließen , wenn die BREXIT Frage geklärt ist. Die schottische Regierung könnte allerdings eine illegale Volksabstimmung ansetzen und einen Coup D´Etat in Edinburgh durchführen. Das wäre ist eine sehr gefährlich Entwicklung, die für große Feinseligkeit sorgen würde. Dass die schottische Regierung, obwohl noch Teil des Vereinigten Königreiches mit der EU über einen Austritt Schottlands aus dem Vereinigten Königreich und eine gleichzeitigen Beitritt zur EU verhandelt, grenzt schon jetzt an Hochverrat.

Diese Volksabstimmungen haben unerwartete, aber gewaltige Auswirkung auf die politische Landschaft des jeweiligen Landes.

Die Bewegung für ein unabhängiges Schottland gibt es seit den 1960er Jahren. Noch bis zum Ende der Blarir Regierúng 2007 war, trotz der Einführung des schottischen Paraments zur Jahrtausendwende, die Idee eines unabhängigen Schottlands kaum ernst zu nehmen. Das Referendum hat diese Wahrnehmung vollkommen verändert. Obwohl die Nationalisten knapp verloren haben, wusste plötzlich jeder, dass die Hälfte der Schotten die Unabhängigkeit wünscht. Dasselbe Phänomen sehen wir in Österreich. Die FPÖ galt lange als ausgrenzbar. Plötzlich wissen die Österreicher, dass die Hälfte der Österreicher einen FPÖ Kandidaten gewählt haben. Das ändert die Psychologie. Gruppen die sich selbst als ewigen Außenseiter gesehen haben, merken plötzlich dass sie mehrheitsfähig sind.

Dasselbe gilt für die BREXIT Befürworter. Nach einem 25 jährigem Kampf um die Wiederherstellung der parlamentarischen Demokratie in Großbritannien haben 55% der Bewohner Englands und Wales und 40% der Schotten den Austritt aus der EU verlangt. Man kann diesen Austritt hinauszögern, man kann die Hälfte der Bevölkerung als rechtsradikale, grenz debile Hooligans diffamieren, man kann sogar verlangen, dass Menschen über 50 das Wahlrecht verlieren müssen. Aber diese Veränderung des Bewusstseins kann man nicht rückgängig machen. Die Demokraten wissen jetzt, dass sie in der Mehrheit sind. Sie haben jetzt die Chance, die Kontrolle über ihr Land zurückzunehmen. Und sie werden diese Chance nützen.

Teil 1