Der 9. Mai als Beispiel für den russischen Patriotismus

Patriotismus ist in Russland allgegenwärtig: Egal ob in der Orthodoxen Kirche, wo man Kriegerheilige verehrt, in den zahlreichen Museen Moskaus über die Kriege die Russland geführt hat oder auf den Straßen der großen Städte, welche mit Statuen von großen Kriegshelden geziert werden. Auf manche westliche Beobachter und insbesondere solche aus dem deutschsprachigen Raum wirkt dies manchmal befremdlich. Warum steht hier die Statue des sowjetischen Feldmarschall Schukows aus dem Zweiten Weltkrieg?

Um diesen besonderen Patriotismus zu erklären, bietet sich der 9. Mai 2017 als gutes Beispiel: Am Roten Platz in Moskau marschieren tausende Soldaten, Panzer und Marschflugkörper ziehen an einer riesigen Menge vorbei. Denn an diesem Tag wird der „Tag des Sieges über den Faschismus“ begangen. Doch warum feiern die Russen den 09.Mai und lassen ihre Kinder die grünen Schiffchen der Rotarmisten am Kopf tragen? Sind sie alle verkappte Kommunisten?

Nein, vielmehr handelt es sich beim „Tag des Sieges“ um einen patriotischen Feiertag in Russland, der nicht der Zelebrierung des Kommunismus dient. Seit 2008, einem insbesondere außenpolitischen Wendejahr in der russischen Geschichte, wird dieser Tag wieder als Großereignis in Moskau und dem ganzen Land gefeiert. Doch warum nimmt gerade dieser Tag einen besonderen Platz im historischen Bewusstsein der Russen ein? Mit rund 27 Millionen Toten hatten die UdSSR die höchste Opferzahl aller kriegsführenden Nationen zu verzeichnen. Im Geschichtsverständnis der Russen nimmt der „Große Vaterländische Krieg“ also einen zentralen Platz im kulturellen Gedächtnis ein, da praktisch jede russische Familie einen Angehörigen hat, der in diesem Krieg entweder gefallen ist oder ermordet wurde. Erschossen von einer Einsatzgruppe, gefallen bei der Schlacht um Stalingrad, verhungert während der Belagerung von Leningrad – diese Einträge kann fast jeder Russe in seiner Familiengeschichte bei seinen Großeltern vorfinden. Der Sieg im Zweiten Weltkrieg ist also vor allem bis heute ein Triumph für die Russen, da der deutsch-sowjetische Krieg für sie ein Existenzkampf um Sein oder Nichtsein war, den sie siegreich überstanden haben.

Im Unterschied zu Staaten wie Großbritannien oder den USA, wo bis heute innerhalb der Kriegsgeneration ein regelrechter Hass auf die „Krauts“ herrscht, nimmt man in Russland den Umgang mit den ehemaligen Kriegsgegnern gelassen: So pflegt man bis heute die deutschen Soldatenfriedhöfe mit großer Sorgfalt und zollt dem ehemaligen Kriegsgegner Respekt. Denn vielleicht weil sie selbst von einer mörderischen Ideologie in Geiselhaft genommen wurden, wissen die Russen ganz genau: Der Sieg im Zweiten Weltkrieg war ein Sieg über den Faschismus/Nationalsozialismus und nicht über das Deutsche Volk. Dementsprechend zählen auch Kommunisten wie Joseph Stalin zu den 10 verhasstesten historischen Persönlichkeiten Russlands.

Mit diesem patriotischen Gedenken stehen die Russen im krassen Gegensatz zur Geschichtspolitik in Deutschland und Österreich: Während bei uns seit den 1980er Jahren eine Politik der Schuld dominiert, die unsere gesamte Geschichte auf den Nationalsozialismus reduziert, betrachtet man in Russland die eigene Geschichte nicht als Abfolge von Licht und Schatten, die nicht nur aus Verbrechen, sondern auch aus Triumphen und glorreichen Siegen besteht. Beispiele wie der russische Nationalautor Alexander Solschenizyn beweisen, dass man sowohl die eigenen Verbrechen und Schattenseiten aufarbeiten kann, egal ob sowjetische Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg oder das GULAG-System, als auch ein aufrechter Patriot sein kann, der sich der westlichen Gleichschaltung durch Gender Mainstreaming, Masseneinwanderung und einseitige Geschichtspolitik entzieht. Gegen Ende des Kommunismus wurde er von der sowjetischen Führung 1990 rehabilitiert.

Doch wie stellt sich der Patriotismus in diesem Land abseits vom 09. Mai dar, und warum sieht man die „demokratische Phase“ unter Jelzin in Russland alles andere als positiv? Mehr dazu im 2.Teil dieser Reihe!