Der russische Patriotismus und seine geistigen Grundlagen

Viele Menschen im Westen fragen sich, welche denn nun jene Idee ist, die das neue Russland zusammenhält. Der gesunde Patriotismus, der die Berichterstattung über dieses Land dominiert, verwundert viele Europäer, die von der eigenen Regierung nur Verachtung gegen die eigene Kultur und Unterwürfigkeit gegenüber fremden Mächten gewohnt sind. Im folgenden möchte ich einen kurzen Einblick in das politische Denken geben, welches das heutige Selbstbewusstsein Russlands möglich gemacht hat.

er heutige Patriotismus, der von vielen Beobachtern einfach als „Putinismus“ bezeichnet wird, hat tiefe Wurzeln, die bis in die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückreichen.

In der Zwischenkriegszeit machen sich zahlreiche russische Intellektuelle im Exil Gedanken darüber, wie die Rolle Russlands nach einem von ihnen erwarteten Zusammenbruch der UdSSR aussehen soll. Einer von ihnen ist der Linguist, Ethnologe und Begründer der Phonologie Nikolai Trubetzkoy. In seinem 1922 erschienenem Buch „Europa und die Menschheit“ weist der Autor die Versuche, Russland zu verwestlichen zurück und plädiert für einen eigenständigen Weg dessen, was er als „Eurasische Zivilisation“ bezeichnet. Laut Trubetzkoy ist der Russische Charakter durch die Symbiose von Europa und Asien geprägt.

Die mongolische Herrschaft, welche Russland für mehr als 100 Jahre von Europa isoliert hatte, sei kein „mongolisches Joch“ gewesen, sondern habe den Grundstein für eine von Europa unabhängige, russisch-orthodoxe Zivilisation gebildet. Die von ihm begründete Schule betont den russischen Sonderweg, welcher das Land zu einer Rolle als Mittler zwischen Europa und Asien prädestiniere. Anstatt also den von Peter dem Großen begonnenem und den Kommunisten fortgesetzten Weg der Europäisierung Russlands fortzusetzen, plädierten die Eurasier für eine eigene, vom Westen souveräne Zivilisation. Für sie ging es nicht darum, Russland als entweder europäisch oder asiatisch zu positionieren, sondern als eine Synthese und Mittler zwischen beiden Zivilisationen. Ein Argument, dass angesichts der russischen Ostkolonisation und der Diplomatie mit China, die der Kreml als erster europäischer Staat schon ab dem 17 Jhdt. mit Handelsbeziehungen auf Augenhöhe krönte, nachvollziehbar ist.

Doch konnte die erste Generation der Eurasier die Umsetzung ihrer Pläne nicht mehr miterleben: Erst nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurden ihre Ideen wieder rezipiert.

Heute ist in Russland der bedeutendste Vertreter dieser nun „Neoeurasismus“ genannten Denkrichtung Alexander Dugin. Sein geopolitisches Handbuch wurde in den 90er Jahren zum Standardwerk des Russischen Generalstabes. Seitdem und einer Tätigkeit als Berater der russsichen Duma in geopolitischen Fragen gilt Dugin als „Putins Hirn“, als wichtiger Ideengeber der russischen Außenpolitik.

In seinem auf Deutsch erschienenem Werk „Konflikte der Zukunft“ plädiert der russische Soziologe für die Errichtung einer multipolaren Welt als Alternative zum unipolaren Chaos unter US-amerikanischer Führung. Nach der Meinung Dugins ist nicht mehr der moderne Nationalstaat alleine dazu in der Lage souverän zu sein. Vielmehr brauche es einen Zusammenschluss zivilisatorisch nahestehender Völker und Staaten in gemeinsamen Kulturkreisen, den sogenannten Zivilisationen, welche in Zukunft zum Träger der Souveränität werden sollen. Eine unabhängige eurasische und chinesische, aber auch eine europäische, amerikanische und islamische Zivilisation sollen in Zukunft das politische Geschehen auf der Welt bestimmen. Auch eine afrikanische und südafrikanische Zivilisation seien theoretisch möglich. Dabei geht er nicht wie Samuel Huntington zwangsweise von einem „Clash of Civilizations“ aus, sondern sieht den Konflikt zwischen verschiedenen Zivilisationen nur als eine Möglichkeit von vielen an.

Als sein Hauptwerk gilt das Buch „The Fourth Political Theory“. Laut dem russischen Soziologen sind alle drei politischen Theorien der Moderne gescheitert. Nicht nur der Faschismus und Kommunismus, sondern auch der herrschende Liberalismus könnten den Wunsch der Menschen nach Freiheit und kultureller Selbstbestimmung nicht erfüllen. Um der von den USA vorangetriebenen Globalisierung entgegentreten zu können, bedürfe es einer Vierten Politischen Theorie, welche die drei anderen politischen Theorien dekonstruiert, ihre schädlichen Inhalte verwirft und ihre positiven Aspekte zu einer neuen Idee vereint, um der amerikanischen Hegemonie entgegen zu treten. Das Subjekt der Vierten Politischen Theorie ist dabei das Dasein nach Martin Heidegger, also die Völker dieser Welt. Nicht Klassen, Rassen oder globalistische Eliten sind in den Augen Dugins ins Zentrum der Politik zu stellen, sondern die freien Völker und Kulturen dieser Welt. Der Hauptfeind ist dabei nach Dugin der Amerikanische Liberalismus, der nach einer einheitlichen Weltordnung im Dienst der Globalisierung strebt.

Doch wie haben diese Gedankengänge die russische Außenpolitik konkret beeinflusst? Im letzten Teil dieser Reihe werde ich mich mit der russischen Außenpolitik von 2008 bis heute beschäftigen und wie sie die Welt geprägt hat, in der wir leben.