Kurt Tucholsky wird der Ausspruch „Wenn Wahlen etwas änderten, wären sie längst verboten“ zugeschrieben. Eine Aussage, die nicht zum Selbstverständnis des Bürgers als Souverän und dem Verfassungsgrundsatz, dass alle Macht vom Volk ausgeht, passt. Lässt sich dieser Widerspruch aufheben? Ja, denn neben der papierenen Verfassung gibt es auch die, vom Bürger immer widerstandsloser hingenommene, Realverfassung. Einen Blick auf diese eröffnete der Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer in erfreulicher Offenheit vor rund einem halben Jahr nach dem ersten Wahldurchgang in der Sendung „im Zentrum-spezial“. Oder haben Sie sich vielleicht auch gefragt, wie denn die Meinungsforschung allerorts (!) derart danebenliegen konnte?

„…. Wir haben die Ehre erfahren, dass sogar die Koalitionsspitzen Faymann und Mitterlehner ausgerückt sind und gesagt haben, diese Umfragen sind schlecht und die beeinflussen und manipulieren die Wähler und die sind schuld, dass Kohl so schlecht liegt und Hundstorfer so schlecht liegt. Wir sehen ja das Ergebnis, ich meine, eine schlechtere Ausrede gibt´s ja eigentlich nicht und deswegen haben wir nicht mehr publiziert. Um sozusagen in den letzten Tagen beim Wahlkampf ein zu greifen. Wir haben aber diese Umfrage – und da aber möchte ich schon sagen – ohne das wirkliche Ergebnis genau zu erreichen, da war Norbert Hofer klar an der ersten Stelle mit einem Respektabstand vor Van der Bellen und wir haben die Umfrage mit Sperrfrist der APA zur Verfügung gestellt und auch jemanden beim ORF hier.“

Die Regierung traut also dem Bürger, dem Souverän nicht zu, eigenständig zu denken und selbstverantwortlich Entscheidungen zu treffen. Im Grunde nichts Neues. Aber warum spielten bzw. spielen fast alle mit, von den Meinungsforschungsinstituten bis hin zu den Medien? Die Antwort dürfte in einer Mischung aus Wollen und Müssen liegen. Wäre die offensive Beeinflussung von Umfrageinstituten durch die Regierungsspitzen nicht zumindest einen Aufschrei dieser Institute oder eine Schlagzeile in den Medien wert? Sicher, aber um welchen Preis? Eine Spurensuche:

  1. Das liebe Steuergeld: Medien sind auch „nur“ gewinnorientierte Unternehmen und als solches verscherzt man es sich nicht gerne mit der Presseförderung und den öffentlichen Stellen (allen voran der Stadt Wien), schließlich geht es hier um ein Werbe- und Förderungsvolumen von rund € 100.000.000.- p.a.. Zur Verdeutlichung: Würden diese Steuergelder nicht fließen, so manche Zeitung und so manches Magazin wäre längst eines natürlichen Todes gestorben. So aber lebt man in einer Art gegenseitiger Abhängigkeit und beschränkt sich primär auf kleinere Scharmützel und Scheingefechte.

  2. Der Grundsatz: wer zahlt, schafft an, hat noch andere Facetten, beispielsweise jene des Eigentümers. Gehören zu den Eigentümern etwa Banken („Kurier“), „parteinahe“ Stiftungen („heute“), treue Bilderbergern („Standard“) oder sind die Medien gar in öffentlichem Besitz („orf“), kann man sich denken, in welche Richtung der Wind wehen wird.

  3. Aber nicht nur unmittelbare (politische) Macht kann korrumpieren, auch der Zugang zu dieser Macht. Mit Spitzenpolitkern zu diskutieren, die eigenen Artikel in der Zeitung zu lesen oder zu teuren/prestigeträchtigen Fortbildungen – vorzugsweise in den USA - eingeladen zu werden, mit anderen Worten, wichtig zu sein, schmeichelt dem Ego und wirkt mitunter korrumpierend. Dazu kommen kleine und größere Privilegien, auf die man nicht gerne verzichten will, vom besten Platz im In-Restaurant bis zum Presseausweis, der einem so manche Tür kostenlos öffnet. Die persönliche Karriereplanung und jeweilige monetäre Abhängigkeit tun ihr Übriges.

  4. Ein weiterer Faktor ist die, dank des Durchmarsches der 68er, weitgehend gemeinsame Sozialisierung. Die ehemals dem humanistischen Ideal folgenden geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten wurden über die Jahrzehnte zunehmend von Vertretern der 68er und deren Spätlese übernommen und dementsprechend sind die Absolventen ausgebildet um nicht zu sagen, indoktriniert. Damit einhergehend ist nicht nur die Idee der konstruktivistisch-sozial(istisch)en Machbarkeit, sondern auch eine Art Sendungs- und Erziehungsbewusstsein, sowie eine immer weiter um sich greifende Intoleranz gegenüber anders/selbst Denkenden. Dieses Sendungsbewusstsein spiegelt sich nicht nur in der täglichen „Berichterstattung“ wider, sondern auch in den diversen Preisverleihungen. „Moderne“ Journalisten verstehen sich also nicht primär als kritische Berichterstatter, sondern durchaus als Meinungsbildner, natürlich für die gute Sache, die sich glücklicher Weise mit jener der Machthaber deckt.

  5. Wer nicht mit den (Armin) Wölfen heult… ja, was ist der? Zu allererst ein Konkurrent. Wer lässt sich schon gerne die eigene Deutungshoheit streitig machen? Eben, und nachdem man selbst zu den Guten gehört, kann der andere, genau, nur ein Böser sein. Dementsprechend auch die Warnungen vor den Gefahren des Internets sowie all der bösen Propaganda, die dort verbreitet wird. Zugegeben, ob Crash-Porn oder kaiserliche (?) und andere Erlösungsphantasien, kein Diskurs ist herrschaftsfrei (sorry 68er) und jeder Blogger, jedes Medium hat seine eigene Agenda. Die paternalistische Hybris vieler Mainstream-Medien allerdings bezeugt nicht nur deren Dünkel, sondern angesichts der Vehemenz der Ablehnung alternativer Medien, auch deren Angst.

  6. Zeitungsforen als Frust- und vermeintliches Mitbestimmungsventil. Die digitale Revolution hat es möglich gemacht, jeder kann heute - mehr oder weniger anonym – seine Meinung zu politischen Themen kundtun. Der Computer hat den Stammtisch ersetzt und dementsprechend wird in den diversen Foren gepostet, beschimpft, selten gelobt. Mit anderen Worten: die Medien haben ihr eigenes Ventil der symbolischen Mitsprache und Mitbestimmung geschaffen. Damit generieren sie bequem Reichweite (wichtig für die Werbekunden) und täuschen Weltoffenheit und Meinungsfreiheit vor. Ernst nehmen tut diese postings in Wahrheit fast niemand und die Mächtigen freuen sich über ein „Überdruckventil“. Wäre doch zu blöd, wenn der Souverän seine Meinung stattdessen mit den Füssen kundtun würde.

Bleibt (nur) noch die thematische Rückkehr zur - oft als ermüdend wahrgenommenen - Wahl des Bundespräsidenten. Egal wie sie ausgeht (müsste er wetten, würde der Hausphilosoph auf Norbert Hofer tippen), die meisten werden nach dem Ende des Wahlkampfes erleichtert aufatmen und sich wieder dem Alltag widmen, während andere ihre Wunden lecken werden, eventuell auch vermummt und auf der Straße. Wir werden uns „outside the box“ in den nächsten Tagen den Unterstützern und den ehemaligen Großparteien widmen. Schließlich findet bei letzteren der eigentliche Paradigmenwechsel statt, oder hätten Sie sich bis vor Kurzem vorstellen können, dass sogenannte Christdemokraten einen linksgrünen Kandidaten unterstützen?