Von Armenien nach Berg Karabach

Fährt man von Jerewan die südliche West-Ost Verbindungstrasse in Richtung Osten um nach Karabach zu gelangen, so passiert man beinahe unweigerlich nach knapp 50 Kilometer das  Kloster Chor Virap. König Trdat III. ließ dort Gregor den Erleuchter 13 Jahre lang in einem unterirdischen Loch gefangennehmen um ihn vom christlichen Glauben abzubringen, was aber dieser standhaft verwehrte. Der König, der daraufhin eine unheilbare Hautkrankheit erlitt und wahnsinnig wurde, trat im Jahr 301 mit seiner Familie bekehrt und geheilt zum Christentum über. Damit wurde Armenien als erstes Land der Welt ein Staat mit dem Christentum als Staatsreligion.

Von diesem Kloster aus hat man einen hervorragenden Blick auf den Berg Ararat. Man sieht auf die drei Sperrzonen hin zur Türkei: Unmittelbar, nur wenige hundert Meter vor dem Kloster beginnt der erste Stacheldraht. Dahinter dürfen nur Armenier mit Sondergenehmigung ihre Felder bestellen. Wenige Kilometer dahinter die zweite Stacheldrahtreihe und die elektronische Grenzschutzeinrichtung hinter der nur armenisches Militär patroullieren darf. Es herrscht Anhaltungspflicht und Schießbefehl.

Der dritte und letzte Zaun stellt die eigentliche Grenze zur Türkei dar. Gleich dahinter liegen die fruchtbaren Hänge des Ararat, an denen türkisches Militär stationiert ist - nicht nur um die Armenier zu beobachten, sondern auch um mit der PKK die am Ararat operiert sich so manches Scharmützel zu liefern. 

In der nächsten, sinnvollen Etappe fährt man etwa 3,5 Stunden (218 Km) weiter Richtung Osten und gelangt nach Halizdor. Hier hat das österreichische Parade-Unternehmen Doppelmayer die längste Seilbahn der Welt mit 6 Km Länge errichtet. Sie verläuft über zwei Täler hin zum entlegenen Kloster Tatew, das im Jahr 895 errichtet wurde und ein bedeutendes Architekturjuwel Armeniens darstellt.

Etwa eine gute Stunde und weitere 50 Km östlich erreicht man schließlich die „Grenze“ zu Karabach, die oft als Korridor von Latschin bezeichnete Gegend, welche die armenische Armee im Karabach Krieg 1992-1994 einnahm um die Exklave Karabach mit dem Armenischen Hauptterritorium zu verbinden. Wenige Kilometer nach Eintritt in diesem landschaftlich grünen, „highland-artigen“ Terrain erreicht man den „Grenzkontrollposten“ der Republik Nagorno-Karabakh, seit 2017 Republik Arzach (nach dem Namen der Provinz Arzach des armenischen Reiches).

Die Fläche beträgt knapp 11.500 Km2, die Einwohnerzahl etwa 150.000, mit seiner Hauptstadt Stepanakert mit rund 50.000.  Man erhält bei der Einreise eine Visum und obwohl die Präsidial-Republik Arzach alle Insignien eines unabhängigen Staates hat, lediglich anstelle einer eigenen Währung  armenische Dram verwendet, ist dieser Staat von keinem anderen Staat der Welt anerkannt, nicht einmal von der Republik Armenien. 

Was macht nun Arzach geopolitisch, historisch und strategisch so wichtig, daß sich nicht nur die Auseinandersetzung damit, sondern sogar ausdrücklich der Besuch lohnt?
Beginnen wir wieder einmal bei neueren Geschichte.

Wie bereits im Teil 1 zu Armenien ausgeführt, stellte die spätere Sowjetrepublik Armenien eine ehemals an das Zarenreich verloren gegangene, persische Provinz dar, die hernach als Republik Armenien 1991 die Unabhängigkeit erlangte. Das Gebiet von Karabach wurde bereits 1805 russische Provinz und die ansässigen Armenier genossen eine bevorzugte Behandlung gegenüber den muslimischen „Tartaren“.

Karabach, was soviel bedeutet wie „Schwarzer Garten“, wurde Siedlungsgebiet vieler Armenier, die Persien und das Ottomanische Reich verließen. Sein Gebiet war noch wesentlich größer als das heutige Karabach, als Teil des russischen Gouvernments von Jelisawetpol, der heutigen, zweitgrößten aserbaidschanischen Stadt Ganscha.

Immer wieder kam es in Karabach und dem heutigen Aserbaidschan zu wechselseitigen, blutigen Konfrontationen mit mehren tausend Toten. Verschärft wurde die Situation im Streit um die natürlichen Ressourcen, aber auch weil die Aseris die Türkei offen unterstützten, vor deren Pogrom zuvor die Armenier flohen, so sie das Morden überlebten.

Per Dekret Stalins wurde Bergkarabach schließlich 1923 Autonomes Gebiet der Aserbaidschanischen SSR, bis zur Abhaltung einer Volksabstimmung. Zu dem Zeitpunkt waren 94% der Bevölkerung Karabachs Armenier.  Sogar während der Sowjetunion wurde mehrfach der Anschluß an Armenien gefordert. 

Ab 1988 kam es zu wechselseitigen Übergriffen mit zahlreichen Toten, rund 100.000 Aseris verließen Armenien und 180.000 Armenier die aserische SSR. Der Ruf nach Loslösung von Baku wurde in Karabach immer lauter.

Nach den Unabhängigkeitserklärungen von Armenien und Aserbaidschan erklärte am 3. September 1991 Bergkarabach sich zur unabhängigen Republik, die Aserbaidschan sofort für ungültig erklärte. 
1992 trat der Krieg offen zu Tage und während türkische Freiwillige, aber vor allem auch eine Tschetschenische Einheit die Aseris unterstützten, formierten sich armenische Milizen, die zur Verteidigung Karabachs antraten.

In mehreren, grandiosen Offensiven und  Gegenoffenive gelang es den Karabach-Milizen die Landgewinne zu erzielen und vor allem das im Tal unter der aserisch besetzten Stadt Schuschi gelegene Stepanankert, welches monatelang ausgehungert, eingekesselt und von schwerer Artillerie beschossen wurde zu befreien. Die Aktion bei der die Karabach-Armenier nachts die Hänge erklommen und in hoffnungslos scheinender Unterzahl die aserischen Stellungen überrumpelten war dermaßen traumatisch für die Aseris, daß diese buchstäblich davonliefen, die Armenier die Panzer kaperten, sie verfolgten und sie aus Karabach in einer großen Welle spülten. Dabei wurden die aserischen Dörfer, wie man bis heute sieht fast vollständig unbewohnbar gemacht. 

Nach einer aserischen Offensive 1993 als diese versuchten Karabach von Armenien zu isolieren griff die reguläre armenische Armee ein und besetzte sieben „aserische“ Provinzen, die Karabach von der Republik Armenien trennten - darunter das eingangs erwähnte Latschin über das man nach Karabach gelangt. 
Am 12. Mai trat ein Waffenstillstandsabkommen auf russische Vermittlung zwischen den Konfliktparteien in Kraft. Seitdem kam es an der Demarkationslinie zu mehreren Zwischenfällen und zahlreichen Toten.

Beim schwersten Zwischenfall zwischen 2.-5. April 2016 startete Aserbaidschan eine Panzer und Artillerie-Offensive im Norden und plante weite Teile Karabachs im Sturm einzunehmen. Dieser Sturm wurde jedoch von den Armeniern abgewehrt und in eine Gegenoffensive verwandelt. Nach heftiger diplomatischer Intervention der Russen verzichtete Karabach auf eine tiefere Offensive und zog sich wieder zurück.
An der Grenze ist es weiterhin enorm angespannt. Es kommt zu regelmäßigen Schiessereien, Scharfschützen schiessen von beiden Seiten und noch immer gibt es zahlreiche Schwerverletzte und Tote aufgrund der weitverbreiteten Landminen. Der kleine, fertiggestellte Flughafen von Stepanakert sollte längst Flüge aus Jerewan empfangen, jedoch droht Aserbaidschan jedes zivile (!!!) Flugzeug abzuschiessen. Darum operieren nur gecharterte Hubschrauberflüge, da diese aufgrund der niedrigen Flughöhe für die Aseris unerreichbar sind.

Im dritten und letzten Teil wird über das b.com Gespräch mit dem Ombudsmann und Menschenrechtsbeauftragten von Arzach sowie dem Leiter der internationalen Abteilung für Auslandsbeziehungen des Außenamtes von Arzach berichtet.
Karabach ist so etwas wie die  Seele Armeniens und wenn wir es im historischen, geostrategischen Kontext betrachten kommt eine Ahnung auf, welch´ eine überregionale Bedeutung Karabach und seine Stellung bis tief hinein in die UNO, EU, Europarat, etc der Konflikt hat.