Der Aufstieg Wladimir Putins

Am Anfang der Präsidentschaft Wladimir Putins stand der Tiefe Staat Russlands. Und dieser führte keine „Übernahme“ des Russischen Staates durch, sondern vielmehr eine patriotische Korrektur gegen jene westlich gesinnten Oligarchen und globalistischen Strukturen, welche unter Jelzin das Land in den Abgrund rissen.

Die Machtübernahme Wladimir Putins bedeutete einen grundsätzlichen Wandel in der Zusammensetzung der russischen Elite. Eine der wichtigsten Stützen von Boris Jelzins Macht waren die sogenannten Oligarchen gewesen. Diese kontrollierten nicht nur die politische Sphäre, sondern auch Wirtschaft und Medien. Jelzins Wiederwahl 1996 nach dem ersten Tschetschenienkrieg wäre ohne ihre Unterstützung nicht möglich gewesen.

Politische Posten und deren Besetzung, die Vergabe großer Wirtschaftsprojekte aber auch die Frage, wer denn nun diesen Fernsehsender oder jene Zeitung lenken durfte – all das entschieden Jelzins Freunde.

All das änderte sich mit Putin. Im Rahmen einer öffentlichen Inszenierung beschnitt er die Macht der Oligarchen. Während eines im Fernsehen übertragenen Banketts im Präsidentenpalast verurteilte er sie für ihre Verfehlungen und die Korruption im Land. In der Folge brach Putin die Machtstrukturen der Oligarchen auf: Die ökonomische Macht wurde an Tycoone delegiert, also ehemalige Oligarchen deren Macht auf die wirtschaftliche Sphäre beschränkt wurde, der politische Einfluss wurde auf das Präsidentenkabinett beschränkt (wozu unter anderem auch schon damals Dimitri Medwedew gehörte) und die mediale Macht schließlich an eine Reihe von treuen Medienmachern.

Jene Oligarchen, die sich gegen diese Machtaufteilung wandten, wurden von Putin kalt gestellt: Der Medienmogul Alexander Abramowitsch Beresowski sowie der Ölmagnat Michail Chodorowski wurden verhaftet bzw. flüchteten ins westliche Ausland.

Ein weiteres Erbe Jelzins war der Konflikt um Tschetschenien. Nach der Niederlage im ersten Tschetschenienkrieg war der von tschetschenischen Dschihadisten erkämpfte Staat de facto von Russland unabhängig. Die vom Westen finanzierten und als „Freiheitskämpfer“ verharmlosten Mörder ließen es aber nicht dabei bewenden: Neben Terroranschlägen in ganz Russland, welche sich ab 1999 noch verstärkten, fielen sie auch am 02.08.1999 in die Nachbarrepublik Dagestan ein. Abgetrennte Köpfer „ungläubiger“ russischer Soldaten, Massaker an Zivilisten – all das gab es dank russischer Schwäche und westlicher Unterstützung schon in den 90er Jahren. Ihr Ziel: Ein Kaukasusemirat. Was der IS 2014 im Irak und Syrien verwirklichte, strebten sie schon Ende der 90er Jahre an.

Innerhalb von 6 Wochen wurden die Terroristen aus Dagestan verdrängt. Ab dem 1. Oktober 1999 folgte schließlich die Offensive gegen das Rückzugsgebiet der Terroristen: Bis August 2000 konnten die Terroristen geschlagen und Grozny wieder eingenommen werden. Damit waren die über Tschetschenien führenden Ölpipelines und Ramsan Kadyrow wurde von Putin als Statthalter Tschetscheniens eingesetzt, um in der Kaukasusrepublik wieder für Ruhe und Ordnung zu sorgen. In der Folge kam es zu einem Guerillakrieg in den Bergen mit den verbliebenen Kräften der Dschihadisten.

Dagestan und Tschetschenien waren dabei nur ein Symptom für die Zentrifugalkräfte, welche Jelzins Föderalisierung der ehemaligen UdSSR freigesetzt hatte. Von Tschetschenien bis Tatarstan strebten die muslimischen Teilrepubliken nach Unabhängigkeit von Moskau. Putin erkannte die Gefahr und setzte eine Zentralisierung der Russischen Föderation um, welche die Macht der Teilrepubliken beschnitt und jene der Zentrale in Moskau stärkte.

Ebenfalls unter Putin begann wieder eine verstärkte Bezugnahme auf die sowjetische Vergangenheit. An Stelle einer vollkommenen Verdammung der kommunistischen Vergangenheit, trat eine kritische Betrachtung der eigenen Geschichte, die große patriotische Feiertage aus der Sowjetzeit wie den Tag des Sieges wieder aufleben ließ.

Weiters war die wirtschaftliche Entspannung des von Hyperinflation geplagten Landes und der Rückgang der Kriminalität unter Putin entscheidend für die Entwicklung Russlands. Die Zeiten, als man in Moskau unter Jelzin für eine Flasche Wodka einen Auftragsmord in Auftrag geben konnte, gehörten der Vergangenheit an. Anarchie und Gesetzeslosigkeit wichen einer strengen Ordnung.

Nachdem die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) als Nachfolger der UdSSR gescheitert waren, gründete Russland gemeinsam mit Weißrussland, Kasachstan, Kirgistan, und Tschadschikistan am 10.10.2000 die Euroasiatische Wirtschaftsgemeinschaft. Mit dieser Maßnahme wurde unter den Vorzeichen der Ideologie des Eurasismus eine Integration des postsowjetischen Raumes gestartet. Diese stellte nicht nur eine Reaktion auf den westlichen Imperialismus in Osteuropa dar, sondern war vor allem dem Bedürfnis nach einer tieferen Integration dieses Kulturraumes geschuldet.

Doch wie ein Seiltänzer der auf halbem Weg halt macht und in den Abgrund hinunter blickt, brachte Putins erste Amtszeit nicht nur Erfolge mit sich. So ließ er etwa die USA nach dem 11.September 2001 Stützpunkte auf dem Territorium ehemaliger zentralasiatischer Sowjetrepubliken errichten, um ihren Kampf gegen den Terror zu unterstützen.

Der Konflikt in Tschetschenien flammte nach der erfolgreichen Offensive 2000 im Jahr 2003 wieder auf und entwickelte sich zu einem von Terroranschlägen geprägten Partisanenkrieg.

Die größte Katastrophe passierte aber am 23.10.2002 als bei der Vorführung des Theaterstückes Nord-Ost das russische Gegenstück zu 9/11 im moskauer Dubrowkatheater ereignete: Ein Kommando von 41 tschetschenischen Muslimen stürmte das postmoderne Historienstück zur russischen Nationalgeschichte und nahm die 800 anwesenden Theatertbesucher als Geiseln. Die Zuschauer dachten zunächst, der Überfall sei Teil der Inszenierung. 141 Zivilisten starben, als die russischen Sicherheitskräfte ein bis dahin ungetestetes Betäubungsgas einsetzten. Alle 41 Terroristen wurden von russischen Spezialeinheiten hingerichtet.

Doch wie entwickelte sich Russland an dieser Stelle weiter, wie reagierte es auf die amerikanischen Regime changes in seiner direkten Nachbarschaft? Wie veränderte sich die russische Staatsideologie (die es laut Verfassung ja gar nicht geben sollte)? Diesen Fragen werde ich im vierten Teil dieser Reihe nachgehen.