„Im Westen gibt es Geld, aber selten Ideen!“

Der französische Jurist und Investor Alexandre Garese im Gespräch über seine Unternehmungen und die stürmischen 1990er Jahre in Russland, die Wohnung von Rogosin und den Fußballklub ZSKA Moskau. Nur wenige europäische Unternehmer kommen nach Russland, um dort zu leben und zu arbeiten. Der französische Investor Alexandre Garese kam nach Moskau, nachdem er sein Rechtsstudium an der renommierten Sorbonne absolviert hatte. Garese sagt, er habe seine Entscheidung nie bereut. Im Interview erzählt er, warum es in Russland seiner Meinung nach interessanter ist als im Westen, er spricht über seine Arbeit in Zeiten der Sanktionen und über sein Interesse an Investitionen in Kasachstan und in der Ukraine.

Herr Garese, Sie wohnen und arbeiten seit langem in Russland. Ein Großteil Ihres Lebens ist fest mit Russland verbunden. Gleichzeitig sind viele russische Geschäftsleute – darunter berühmte Unternehmer – nach Großbritannien, Israel oder in die USA ausgewandert. Warum sind Sie geblieben?
Garese: (lacht) Es ist spannend in Russland zu arbeiten, und mit jedem neuen Projekt wird es sogar immer spannender! Als ich den 1980er Jahren in Frankreich aufwuchs, hörte ich viele Geschichten aus der damaligen Sowjetunion. Aber das Land war für uns damals verschlossen, nur wenige konnten Russland besuchen. Für mich war das Land hochinteressant. In den frühen 1990er Jahren, nachdem ich mein Studium an der Sorbonne abgeschlossen hatte, wurde mir ein Job in der russischen Botschaft angeboten – ich sagte sofort zu. Je mehr ich dieses Land, seine Kultur, Traditionen und Charaktereigenschaften entdeckte, desto mehr wuchs es mir ans Herz. Aber das Wichtigste ist für mich – damals wie heute – das Gefühl für große Chancen und Möglichkeiten. In Europa schien es Anfang der 1990er Jahre so, als sei alles erreicht. Alle Plätze unter der Sonne schienen verteilt. In Russland war das nicht so. Zudem versuchte man dort, die Kultur, die Traditionen und die Lebensweise zu bewahren, was mir sehr gefiel.

Das hört sich fast so an, als hätte die Sowjetunion damals bei Ihnen eine Art „Heiligenschein“ gehabt…

Garese: (lacht herzlich) Wahrscheinlich ist es so…

Hatten Sie keine Angst vor dem sogenannten „Homo Sovieticus“ („Sowok“) hatten, viele westliche Liberale bezeichneten die Sowjetbürger so…

Garese: Im Westen gab es tatsächlich eine klare Abstufung bestimmter Klassenzugehörigkeiten. Man sah das vor allem an deren Kleidung, Manieren und Gewohnheiten. Man fährt mit der U-Bahn und sieht in den Gesichtern der Menschen keinen Unterschied zwischen einem 20jährigen und einem 50jährigen Mann. Als ob sich seit 30 Jahren nichts im Leben dieser Menschen geändert hätte. In der Sowjetunion hingegen war das ganz und gar nicht der Fall. In den Gesichtern der Menschen war ihre ganze Lebensgeschichte zu sehen, man konnte in den Gesichtern lesen wie in einem Buch. Ich mochte das sehr.

Haben sich Ihre Erwartungen eigentlich erfüllt, oder bereuen Sie heute, dass Sie nach Russland gegangen sind?
Garese: Ich hatte mit zwanzig Jahren keine weitreichenden Pläne. Es war hier nie langweilig, irgendetwas war immer in Bewegung. Ich habe während meiner Zeit hier eine kolossale Menge an Erfahrungen gesammelt.

Wie haben Sie damals eigentlich Ihre Geschäftsbeziehungen aufgebaut? Und wie konnten Sie damals entscheiden, mit wem Sie zusammenarbeiten in Russland? Nach Gesichtskontrolle?
Garese: (lacht) Natürlich nicht! Ernsthaft: Ich bekam dank meiner Ausbildung und meiner bereits gesammelten beruflichen Erfahrungen sehr interessante Angebote. Ich wollte immer mit großen Strukturen arbeiten und fragte meine potentiellen Kunden immer: „Erzählt mir von Euren Projekten! Mal sehen, ob ich nützlich sein kann.“ Seit 25 Jahren beschäftige ich mich mit vielen ernsthaften Aufgaben. Als Spezialist für das Völkerrecht war ich an einem Projekt beteiligt, daß die sowjetische Staatsverschuldung regelte. Im postsowjetischen Russland konnte man vieles machen – wenn man fähig und arbeitswillig war. Ein großer Teil der Bevölkerung saß einfach zuhause und verstand oft nicht, was im Land eigentlich passierte. Aber jene, die etwas machen wollten und konnten, fanden gigantische Möglichkeiten vor. Ich habe seitdem eine ausgezeichnet laufende Anwaltskanzlei.

Hatten Sie eigentlich Angst davor, in Russland zu arbeiten?
Garese: Ich war damals viel zu jung, um Angst zu haben. Für mich war das alles wie in einem Film.

Wenn Sie heutigen Geschäftsbedingungen in Russland mit denen in Europa vergleichen, gibt es noch Entwicklungsmöglichkeiten?
Garese: Meiner Meinung nach gibt es in Russland heute immer noch viel mehr Möglichkeiten als in Europa. Es gibt in Russland Kapitalschutz und klare Wirtschaftsgesetze. Ein großer Vorteil sind zudem die niedrigen Einkommensteuersätze. Das größte Problem in Russland heute ist aber der beschränkte Zugang zu ausländischen Finanzierungsmöglichkeiten aufgrund der Spannungen in der Außenpolitik. Aber jeder versteht hier, daß das nur eine vorübergehende Situation ist. Andererseits hat das nicht nur Nachteile: Es regt Unternehmen dazu an, sich aus eigener Kraft zu entwickeln. Als Beispiel hierfür kann ich meine Bäckereikette „Wolkonsky“ nennen, wo wir ständig die Effizienz steigern. In Russland sind die Gehälter niedriger, aber dafür ist auch die Effizienz der Arbeit niedriger. Man muß daher mehr Leute einstellen und Geld und Zeit in deren Ausbildung investieren. Für mich ist es sehr bequem meine „Family Office“ in Moskau zu haben. Hier habe ich mein Team, das meine Arbeit in vielen Ländern koordiniert. Ich bin sehr stolz auf mein Managementteam in Russland. Das sind alles qualifizierte Leute, sie arbeiten effektiv – es ist für mich in diesem Sinne sehr vorteilhaft, mein Büro in Russland zu haben und nicht etwa in Europa.
Zu Ihrem Unternehmensnetzwerk gehören neben Ihrer Rechtsanwaltskanzlei auch Geschäfte im Gastgewerbe und der Freizeitindustrie (Restaurants, Business Club) sowie verschiedene Medienprojekte.

Planen Sie noch was darüber hinaus in Russland?
Garese: Derzeit denke ich tatsächlich darüber nach, in die Landwirtschaft zu investieren. Die Menschen leiden heute an Allergien gegen bestimmte Lebensmittelzutaten wie beispielsweise Gluten. Es gibt auch viele andere Allergien, die früher so gar nicht zu existieren schienen. Die Chemieindustrie hat in den letzten 150 Jahren Düngemittel geschaffen, um vor allem die Getreideproduktion zu steigern. Aber dieses Getreide ist eigentlich „steril“ – es kann nicht wieder ausgesät werden. Im Westen – in den USA und in Kanada – ist es unmöglich, Saatgut für die Aussaat zu kultivieren, weil es als „geistiges Eigentum“ geschützt ist. Und diese Rechte gehören den großen Agrarholdings. Wir prüfen deshalb die Möglichkeit, landwirtschaftliche Flächen und Vermögenswerte in Russland und in der Ukraine zu erwerben, um Getreide zu produzieren. Vorläufig wollen wir 20 Millionen Euro in der Ukraine und 50 Millionen Euro in Russland investieren.

Sie betreiben Ihr Geschäft derzeit in Frankreich, Russland und in der Ukraine. Planen Sie eine Ausweitung auf andere Länder?
Garese: Wir haben diesbezüglich Pläne. In Kasachstan prüfen wir derzeit die Möglichkeiten, an einem Öl- und Gasprojekt teilzunehmen. Leider gibt es weniger Investoren, die bereit sind, sich in kasachische Projekte einzubringen, was vor allem an den Krisenerscheinungen in Russland liegt. Das wirkt sich negativ auf das Geschäftsklima im gesamten GUS-Raum aus. Andererseits haben sich die Ölpreise wieder weitestgehend stabilisiert, und in Kasachstan gibt es nur wenig „flüssiges Geld“. Das heißt, man kann um sehr gute und vorteilhafte Einlagen kämpfen. Meistens geht es dabei um Erdöl. Ein solches Projekt fordert aber erhebliche Investitionen. Ich habe aber Partner in Europa, die unter günstigen Bedingungen bereit wären, in ein solches Projekt zu investieren.

Planen Sie, Kredite aufzunehmen?
Garese: Alle Projekte meines Unternehmens „Garese & Associates“ – ein Netzwerk von „Wolkonsky“-Cafés und -Bäckereien, dem Kusnja Restaurant-Club in St. Petersburg und die Cooker´s Gourmet-Cafés – sind aus eigenen Mitteln ohne die Banken finanziert. Wenn wir aber über die Öl-, Gas- und Agrarprojekte sprechen, denke ich an die Möglichkeiten externer Finanzierung. Wir verhandeln hierüber mit dem Finanzsektor, unter anderem auch aus dem Westen. Im Westen gibt es viel flüssiges Geld, aber entweder fehlen die Ideen oder es gibt keine freien Nischen mehr.

Hat das Sanktionsregime Ihr Geschäft sehr beeinflusst?
Garese: Bis 2014 haben wir für die „Wolkonsky“-Cafés und -Bäckereien viele Lebensmittel aus dem Westen importiert. Deshalb hatte die Gastronomie nach der Verhängung der Sanktionen zunächst einige Probleme. Aber im Laufe von zwei Jahren ist es uns gelungen, russische Lieferanten zu finden.

Im vergangenen Jahr ist Ihr Name in einer Skandalgeschichte aufgetaucht, die mit der Wohnung des stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten Dmitri Rogosin zu tun hat, die auf einen Wert von 500 Millionen Rubel geschätzt wird. Der Abgeordnete der Staatsduma Alexander Babakow wird ebenfalls erwähnt. Was verbindet Sie mit ihnen? Worum ging es genau?
Garese: Es ging in dieser Skandalgeschichte darum, wie sich Rogosin dieses Apartment eigentlich bei seinem Einkommen leisten könne. Über verschiedene Geschäftsverstrickungen wurde in diesem Zusammenhang auch plötzlich mein Name ins Spiel gebracht. Dabei ging es um das Unternehmen Minimal Technology Ltd. Mit der Geschichte um Rogosins Apartment habe ich allerdings nichts zu tun, zur Zeit der Abwicklung des Geschäfts war ich nicht mehr Eigentümer von Minimal Technology Ltd. Ich war zwar einer der Gründer des Unternehmens, das Serviceleistungen im Bereich des Gesellschaftsrechts anbietet, aber ich verkaufte die Firma an einen englischen Anwalt. Daher ist die Verbindung mit meinem Namen ein Tatsachenirrtum in dieser Geschichte. Ich vertrat keine Klienteninteressen, mit der Wohnung habe ich nichts zu tun. Allerdings möchte ich auf den Kontext dieser Geschichte eingehen: In den späten 1990er Jahren waren viele bekannte Geschäftsleute unter meinen Kunden. Ich habe sie im internationalen Recht beraten, das auch Immobilientransaktionen mit einschloss. In den frühen 2000er Jahren habe ich Babakow bei einem Privatisierungsprojekt für eines der größten Kraftwerke in der Ukraine geholfen. Da dies unter Beteiligung der Weltbank und amerikanischer Finanzinstitute verlief, war eine Expertise für den Bereich des internationalen Rechts erforderlich. Honoriert wurde diese Arbeitsleistung übrigens als sogenannte „success fee“. Hier bekommt der Berater seine Vergütung nur im Falle eines Erfolges. Infolgedessen haben damals alle Beteiligte profitiert, auch die Verbraucher. Diese haben bis heute einen verlässlichen Energielieferanten.
In den frühen 2000er Jahren waren Sie Vorstandsmitglied des Fußballklubs ZSKA Moskau und vertraten die Interessen von Bluecastle Enterprises Ltd., das 49 Prozent der Anteile des Klubs besaß. Sind

Sie immer noch der Haupteigentümer von Bluecastle?
Garese: Nicht mehr. Damals lud mich Jewgeni Giner, der Haupteigentümer von ZSKA Moskau, ein, ihm bei der Strukturierung des Klubs zu helfen. Wenn wir uns an den Zustand russischer Fußballklubs in den späten 1990er Jahren erinnern, wird klar, daß es damals sehr viel zu tun gab. 2001 trat ich dann in den Vorstand von ZSKA ein. Wir haben es geschafft, die finanzielle Situation des Klubs zu verbessern und die Prozesse innerhalb des Managementteams zu optimieren. Ich hoffe, es ist zum Teil auch mein Verdienst daß der Verein 2005 den UEFA-Pokal gewonnen hat. Das Projekt brachte mir sehr gute Führungserfahrungen. Obwohl ich meinen Anteil am Klub verkaufte, verfolge ich die Geschehnisse immer noch!

Sie sind in vielen Geschäftsbereichen engagiert. Welche Sparte ist Ihrer Ansicht nach die vielversprechendste?
Garese: Von den bereits bestehenden Projekten ist es unser Netzwerk der „Wolkonsky“-Cafés und -Bäckereien. Hier konnten wir in den letzten Jahren deutlich wachsen. Es gibt mittlerweile mehr als 60 Cafés in Russland und in der Ukraine. In den russische Regionen haben wir viele Franchise-Partner. Sehr schnell entwickelt sich auch unser Kusnja Restaurant-Club in St. Petersburg.

Ist der Kelia Business Club dann eher ein Projekt „für die Seele“?
Garese: Im Unterschied zum Westen haben sich in Russland bis heute noch keine Wirtschaftsklubs durchgesetzt. Aber die Kultur des Networkings – also der Geschäftskommunikation im eher informellen Umfeld – entwickelt sich auch hier. Russische Geschäftsleute, die die Metamorphose der 1990er Jahre gut überstanden haben, übernehmen allmählich die Vorzüge aus der europäischen Kultur. Wir bemühen uns daher, die besten Traditionen von so berühmten Clubs wie dem Londoner Soho House & Co oder dem New Yorker Norwood Club zu verfolgen. Ähnliche Clubs gab es übrigens in Russland in der Zeit von Katharina der Großen! Ob wir unbedingt alte Traditionen hier wiederaufleben lassen, werden wir noch sehen. Jedenfalls bin ich damit sehr zufrieden wie sich das Projekt des Kelia entwickelt. Kelia ist kein Hobby oder Wohltätigkeit, sondern eine strategische Investition.

Bei so einem vollen Terminkalender fragt man sich unweigerlich: Haben Sie überhaupt Zeit für Erholung?
Garese: Meine Frau und ich haben sechs Kinder, unser Ältester hat vor kurzem sein Studium an einer der Moskauer Universitäten begonnen. Wir versuchen, unsere ganze Freizeit mit unseren Kindern zu verbringen. Nicht alle wohnen in Moskau, daher reisen wir viel. In meiner Freizeit spiele ich gerne Pferdepolo, ich mache auch Yoga. Zudem sammle ich Kunst. Ich besitze Werke europäischer Meister und interessiere mich für den Alten Osten. Das Leben in Russland führte natürlich dazu, daß ich die russische Malerei zu lieben lernte. Es gibt auch sehr interessante Werke von Künstlern der sowjetischen Zeit. Vor kurzem kaufte ich eine große Sammlung von Kukrynsky, einer kreativen Gruppe sowjetischer Grafiker. Vielleicht organisiere ich in Zukunft eine Ausstellung dieser Werke, die vor allem die Fans des sowjetischen Realismus interessieren werden.

Herr Garese, vielen Dank für das Gespräch