18.11.2024
15:53 | theburningplatform: Wer profitiert wirklich vom Ukraine-Krieg?
Nur wenige Menschen verstehen, was der Krieg in der Ukraine für Großunternehmen bedeutet – nämlich Chancen. Es sind nicht nur die Waffen- und Wiederaufbauverträge. Die riesigen landwirtschaftlichen Flächen der Ukraine – die zu den fruchtbarsten der Welt gehören – stehen zur Disposition, und amerikanische Unternehmen wie BlackRock stehen an vorderster Front. RFK Jr. erklärt geschickt und klar. JP Morgan und BlackRock – Von Finanziers der Zerstörung zu „Helden“ des Wiederaufbaus im Wert von einer halben Billion Dollar – Die Heuchelei des Wiederaufbaus der Ukraine durch dieselben Konzerne, die vom Krieg profitiert haben
JP Morgan und BlackRock arbeiten zusammen mit der Beratungsfirma McKinsey & Company mit der ukrainischen Regierung zusammen, um einen Wiederaufbaufonds einzurichten. Ziel dieses Fonds ist es, erhebliche Investitionen für den Wiederaufbau des Landes zu mobilisieren, der Schätzungen zufolge zwischen 400 Milliarden und einer Billion US-Dollar kosten könnte. Dieser als „Fonds für die Entwicklung der Ukraine“ bekannte Fonds wird einen „Mischfinanzierungs“-Ansatz nutzen, um sowohl öffentliches als auch privates Kapital zu mobilisieren und dabei auf vorrangige Sektoren wie Infrastruktur, Klima und Landwirtschaft abzielen.
Kommentar des Einsenders
…wie jeder Krieg in der Vergangenheit! Profiteure waren immer nur die Bankster, der Geldadel, die Richie Richs! Dem ist alles unterzuordnen, solange die Marie fließt. Möge die Ukro zu ihrem Fanal werden.
Jeder Krieg ist pures Business: Geld, Macht, Rohstoffe. Wer dabei ernsthaft an Menschenrechte oder Frieden glaubt, sollte dringend mal den Psychiater seines Vertrauens anrufen... JE
17.11.2024
18:16 | Rüdiger Rauls: Die richtige Seite: Aussichten
(Zweiter Teil der Betrachtung)
Die Konflikte im Nahen Osten und im Donbass deuten auf grundlegende Veränderungen in der Welt hin. Diese Zuspitzung führt zu Verunsicherungen und Ängsten, bei vielen aber auch zu der Suche nach neuer Gewissheit. Worin bestehen diese Umwälzungen und wohin führen sie?
Die Macht der Veränderung
Selbst in den Zeiten des Systemkonflikts zwischen dem kapitalistischen Westen und dem Sozialismus sowjetischer Prägung schien die Welt stabiler als heute. Dieser Konflikt war grundsätzlicher als der heutige, und trotz der tödlichen Atomwaffenarsenale auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs schien das Handeln der Regierenden besonnener. In den 1970er Jahren folgte die Entspannungspolitik unter dem deutschen Kanzler Willy Brandt der Erkenntnis, dass keine der beiden Seiten die andere vernichtend schlagen konnte, wie es seinerzeit mit dem Nazi-Reich gelungen war. Ein solcher Versuch würde im Untergang der Zivilisation enden. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass als Zweiter stirbt, wer als erster Atomwaffen gegen die andere Seite einsetzt.
Die westliche Strategie des Antikommunismus, die die Vernichtung des Sozialismus zum Ziel hatte, wurde nach den Niederlagen der USA in Südostasien und dem Zerfall des letzten Kolonialreiches, des portugiesischen in Afrika, ersetzt durch die Strategie der Menschenrechte. Diese war letztlich erfolgreicher, trug sie doch ganz erheblich bei zum Untergang der Sowjetunion (1). Dem Einfluss des westlichen Propaganda-Apparats, der weite Teile der nicht-sozialistischen, aber auch der sozialistischen Welt erreichte, hatte die UdSSR wenig entgegen zu setzen. Ihr fehlten damals die finanziellen, aber auch die technischen Mittel.
Die Entspannungspolitik wollte den Wandel durch Handel, politische Veränderungen sollten den Handelsbeziehungen folgen. Von Osten nach Westen durchstießen die Öl- und Gaspipelines der Sowjetunion den Eisernen Vorhang und westliche Waren, besonders Investitionsgüter, nahmen den umgekehrten Weg. Besonders China profitierte von der Entspannung zwischen Ost und West. Westliche Produktionsmittel nahmen den Weg in den gewaltigen chinesischen Markt mit anderthalb Milliarden Konsumenten. China wurde aufgebaut zur Werkbank der westlichen Industrie. Westliches Kapital wurde in den Aufbau von Produktionsstätten westlicher Unternehmen investiert. Beide Seiten hatten Vorteile von diesem Austausch. Westliche Unternehmen konnten billiger produzieren, und China konnte mit westlichem Kapital seine Wirtschaft aufbauen.
Aber China hatte andere Pläne, als ihm vom Westen zugedacht worden waren. Es wollte sich nicht als billige Werkbank benutzen lassen. Von Anfang an bestand die chinesische Führung auf Technologietransfer. Die westlichen Unternehmen sollten nicht nur die chinesische Arbeitskraft ausbeuten, sie sollten auch ihr Wissen mit den Chinesen teilen. Diese lernten schnell und erwarben einen bescheidenen Wohlstand. Heute ist das Land der Mitte dem politischen Westen in vielen Bereichen von Technik, Wissenschaft und Produktion zumindest ebenbürtig. Besonders in den Zukunftsindustrien wie Telekommunikation und regenerative Energiegewinnung ist China inzwischen weltweit führend.
Die Macht des Zweifels
Der Aufstieg Chinas veränderte die Welt. Die bisher noch unterentwickelten Länder sind nicht mehr von der Investitionsbereitschaft der westlichen Staaten und deren Bedingungen abhängig. Denn chinesische Initiativen wie die Neue Seidenstraße, die sich inzwischen als Belt-and-Road-Initiative (BRI) zu einer weltweiten Handelsinfrastruktur entwickelt hat, sowie die Gründung der BRICS mit ihrer New Developement Bank stellen das westliche Entwicklungs-Monopol in Frage. Der Westen verliert zunehmend seine wirtschaftliche Vormachtstellung, die in seiner überlegenen Technik bestand und in seinem hohen Maß an investitionsbereitem Kapital.
Chinas Wirtschaftskraft, Russlands Militärmacht und die Bodenschätze des globalen Südens stellen nicht nur die wirtschaftliche Macht des Westens in Frage. Durch deren immer umfassendere Zusammenarbeit wird auch dessen politische Vormachtstellung angegriffen. Die Völker der Welt stellen die Rechtmäßigkeit des westlichen Anspruchs in Frage, die Geschicke der Welt alleine und eigenmächtig bestimmen zu wollen. Sie sind immer weniger bereit, sich den westlichen Interessen unterzuordnen und sich deren sogenannter regelbasierter Ordnung zu unterwerfen.
Die Völker der Welt bestehen auf der Gleichwertigkeit ihrer wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bedürfnisse und Interessen. Es zählen nicht mehr alleine die des Westens. Die internationale Ordnung ist im Wandel, auch wenn man das in Washington und Brüssel nicht wahrhaben will. Die westliche Vorherrschaft ist im Zerfallen begriffen. Die Welt will multipolar werden. Der westliche Exzeptionalismus, die Vorstellung eigener Überlegenheit, gehört der Vergangenheit an, da helfen keine Sanktionen, keine Regime-Changes und keine Kriege mehr.
Es ist ein neuer Geist eingezogen in der Welt. Die westlichen Traumfabriken können die Menschen immer weniger beeinflussen mit den Weltbildern, die sie zeichnen, und mit ihrer Propaganda gegenüber ihren Gegnern. Das Internet hat die Monopolstellung der westlichen Einflussnahme gebrochen. Übersetzungsprogramme machen den Menschen auf dem gesamten Erdball die Informationen, Meinungen und Weltbilder in allen Sprachen zugänglich, auch in den Sprachen der Gegner.
Den westlichen Medienmogulen sind mächtige Gegner erwachsen. Mächtig sind sie, weil sie überzeugendere Sichtweisen in die Welt tragen und die Vorgänge in der Welt verständlicher machen. Es sind nicht mehr alleine die Ansichten und Interessen des politischen Westens, die sich auf dem Planeten verbreiten. Der Einfluss von russischen und chinesischen Medien nimmt weltweit zu - zum Leidwesen westlicher Meinungsmacher. Die Verbreitung von Informationen, Erklärungen und Meinungen können nicht mehr nach ihren Interessen alleine gefiltert werden. Die Macht des Zweifels zersetzt Lügen und Manipulationen.
Zweifel alleine aber schaffen keine neue Welt. Das Kopfschütteln über die herrschenden Zustände bringt keine neue Orientierung. Der Zweifel zersetzt zwar die Lügen, aber er schafft kein neues politisches Bewusstsein. Doch ohne dieses führt der Zweifel in Verzweiflung, in Nihilismus, Häme und Gehässigkeit. Das ist die Fäulnis, die uns aus vielen Kommentarspalten auch der alternativen Medien entgegen weht. Man lehnt den Mainstream ab, man zweifelt an allem, was von dort kommt. Aber die Ablehnung metastasiert. Sie lässt auch nicht mehr an den guten Willen der meisten Menschen glauben, das Richtige tun zu wollen, und an ihren Wunsch, dem Menschen ein Freund zu sein.
Die Macht des Bewusstseins
Der Zweifel hat vieles zerfressen, wenig Gutes übrig gelassen und noch weniger Zukunftsweisendes geschaffen. Der Zweifel, so willkommen und unumgänglich er auch sein mag, darf also nur der erste Schritt sein, um Lüge von Wahrheit zu trennen, das Falsche vom Richtigen. Der zweite muss darin bestehen zu benennen, was das Richtige ist. Das ist der schwierigere Teil der Bewusstwerdung. Dazu bedarf es keiner Visionen, wie so viele Propheten und Volkstribune glauben machen wollen, die sich selbst und ihrem Publikum eine Zukunft ausmalen glauben zu können.
Um das Richtig zu benennen, dazu bedarf es gerade des Gegenteils: Zu sagen, was ist, wie es Rosa Luxemburg einmal als die „revolutionärste Tat“ bezeichnet hat. Es geht darum, die Wirklichkeit der Gegenwart deutlich zu machen, denn aus ihr heraus entsteht die Zukunft, nicht aus den Phantasien irgendwelcher Weissager. Wer zur Deutung der Gegenwart nicht in der Lage ist oder gar darin schon falsch liegt, wie sollte der eine richtige Zukunft voraussagen können? Doch auch die Gegenwart wird nicht richtig verstehen, wer die Vergangenheit nicht berücksichtigt und die Gegenwart nicht als Ergebnis einer Entwicklung sieht.
Der Krieg in der Ukraine ist nicht zu verstehen, wenn man die Vorgeschichte nicht kennt oder gar ausblendet beziehungsweise umdeutet. Entwicklungen werden erst deutlich und verständlich, wenn sie eingeordnet werden können in den Lauf der Geschichte und das Wirken von Interessen. Die Zukunft ist aus der Gegenwart heraus nicht vorstellbar, wenn die Gegenwart aus der Vergangenheit herausgelöst und isoliert betrachtet wird. Entwicklung ist die Betrachtung der Gegenwart vor dem Hintergrund der Vergangenheit, verlängert in den Raum, der vor uns liegt.
Die Entwicklung des Menschen geht vom Tier zum Menschen und derzeit wissen wir noch nicht, wie weit er auf diesem Weg der Menschwerdung vorangeschritten ist. Aber in der meisten Zeit seiner Existenz war er mehr Tier als Mensch. Sein Leben bestand über die Jahrtausende aus Armut, Hunger und Schutzlosigkeit in einer feindlichen Umwelt. Er wurde Sammler, Jäger, Viehhirte und Ackerbauer, Handwerker und Wissenschaftler. Und mit jedem dieser Entwicklungsschritte überwand er einen Teil seiner Armut, seines Hungers und seiner Schutzlosigkeit, wurde immer mehr Mensch, dafür immer weniger Tier.
All diese Schritte waren auch verbunden mit dem Erwerb neuer Tätigkeiten und einem Bewusstsein, das über das eines Tieres hinausging. Er wurde sich seiner Fähigkeiten bewusst und setzte diese ein zur Verbesserung seiner Lebensumstände. Sie wurden Allgemeingut der gesamten Menschheit. Dieser Weg führte über verschiedene Gesellschaftsformen, die sich die Menschheit selbst schuf. Sie gestalteten das Zusammenleben untereinander und verbesserten das Leben der Menschheit allgemein, machten es sicherer, satter und auch länger.
In diesem Rückblick ist also erkennbar, dass der Mensch trotz aller Rückschritte wie dem Faschismus auf dem Weg ist in eine Zukunft, die sein Leben reicher und freier macht. Der Mensch ist auf dem Weg, jener Gott zu werden, von dem er über Jahrtausende dachte, dass er über sein Schicksal bestimmte. Dieser Gott aber ist nicht im Himmel zu suchen. Er ist in ihm selbst, in seiner eigenen Schaffenskraft, in seiner eigenen Genialität und in seiner Brüderlichkeit.
Auch wenn die blutigen Konflikte dieser Tage einen anderen Eindruck erwecken, so sind sie doch Bestandteil dieses Ringens, den die Menschheit seit Anbeginn ihrer Zeit mit sich selbst und ihrer Umwelt austrägt. Bei den derzeitigen Kämpfen geht es, wie die Chinesen sagen, um die Schicksalsgemeinschaft der Menschheit. Hier toben die Kämpfe um das Bewusstsein, dass allen Staaten und Gesellschaften das gleiche Recht auf eine Entwicklung zusteht nach den eigenen Wertmaßstäben, den eigenen Grundsätzen, den eigenen geschichtlichen und kulturellen Erfahrungen.
Da gibt es keine höheren Rechte und niedrigeren, keine wichtigeren Interessen und weniger bedeutende. Alle Völker des Menschengeschlechts haben dieselben Anrechte auf ein Leben in Wohlstand und Würde und nicht nur die goldene Milliarde. Den Religionen ist das nicht gelungen trotz ihrer Appelle an die Nächstenliebe. Auch der sowjetische Sozialismus scheiterte mit seiner Vorstellung von der Überwindung der Klassengesellschaft. Heute scheint die Zeit gekommen, mit der westlichen Vorherrschaft jegliche Vorherrschaft zu überwinden. Das ist es, worum es derzeit geht, und diesen Prozess zu unterstützen bedeutet, auf der richtigen Seite zu stehen.
(1)siehe dazu: Rüdiger Rauls: Menschenrechte als Propagandamittel
Erster Teil dieser Betrachtung Die richtige Seite: Standpunkte
Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
15.11.2024
12:05 | Rüdiger Rauls: BSW - Politik ohne Grundlage
Wofür steht das Bündnis Sahra Wagenknecht? Innerhalb kürzester Zeit wandelt sich die neue Partei von einem Hoffnungsträger zu einer weiteren Enttäuschung für viele Linke in Deutschland. Liegt es an den falschen Leuten oder am vorherrschenden Politikverständnis?
Private Kaderpartei
Vermutlich haben Wagenknechts Erfahrungen mit der Linkspartei, dann mit der Bewegung „aufstehen“, die scheinbar beide an den verschiedenen inneren Strömungen scheiterten, sie zu der Vorstellung gebracht, dass eine neue Partei aus Menschen bestehen sollte, die weitgehend ihre Ansichten teilen. So sammelte sie Leute um sich, von denen sie wohl glaubte, dass sie sich auf sie verlassen kann. Es entstand eine Art Kaderpartei, die über eine geringe Mitgliedschaft verfügt und noch weniger Aktive und Entscheider. Mitgliedschaft wie Führungspersonal sind weitgehend handverlesen. Die Auswahlkriterien sind undurchsichtig. Politisches Bewusstsein und Erfahrung scheinen dabei nicht an oberster Stelle zu stehen, wie das Führungspersonal in manchen untergeordneten Gremien erkennen lässt.
Die Partei profitierte bisher hauptsächlich von der schlechten Stimmung im Land, der schwindenden Bindungskraft der Regierungsparteien und der Hoffnung auf Verbesserung, die viele Wähler mit dem Namen Wagenknecht verbinden. Aber genügt das, um eine andere Politik zu machen? Mit diesem Anspruch und Versprechen ist das Bündnis angetreten, und damit gelang es ihm, aus dem Stand bei den Wahlen im Osten sehr gute Ergebnisse zu erzielen. Die Partei wurde zum Zünglein an der Waage, weil die anderen es sich selbst verboten hatten, mit der Alternative für Deutschland (AfD) und der Linkspartei Regierungen zu bilden. Aber wofür das BSW steht, ist nicht zu erkennen. Der Anspruch anders zu sein als die anderen, hatte nur eine geringe Halbwertzeit. In dem unwürdigen Gezänk der ersten Sitzung des Thüringer Landtags hat auch das BSW kräftig mitgemischt. Jene Partei, die sich von den anderen abheben wollte, beteiligte sich an einem Parteiengezänk, wofür bisher nur die anderen bekannt waren und dementsprechend unbeliebt beim Bürger sind. Hat das BSW dabei eine andere Politik gemacht? Hat es eine bessere Figur abgegeben als die anderen Parteien? (1)
Auch Wagenknechts Vorstellung, ein einig Volk von Brüdern zu sein, wenn sie selbst die Mitstreiter aussucht, hat nicht lange gehalten. Mit den Erfolgen beginnen die Auseinandersetzungen der politischen Richtungen, zuerst in Vorwürfen und Anfeindungen, die erst hinter den Kulissen und dann immer öfter öffentlich ausgetragen wurden. Vielleicht herrschte die naive Vorstellung, dass man sich auch in Zukunft auf die politischen Ansichten jener Mitstreiter verlassen kann, die man selbst ausgesucht und in den inneren Kreis aufgenommen hat. Damals hielt man sie für zuverlässig, weil man zum damaligen Zeitpunkt einer Meinung war.
Aber die Meinungsverschiedenheiten entstehen in den Veränderungen durch neue gesellschaftliche Entwicklungen, mit denen sich die Parteien auseinandersetzen müssen. Das Neue bringt auch neue Sichtweisen. Zu glauben, dass die gemeinsamen Ansichten der Vergangenheit von den Veränderungen in der Welt unangefochten bleiben, ist naiv. Mit Sicherheit wollte das BSW keine Kaderpartei sein und hat sich bestimmt auch nicht so verstanden. Aber solch ein Bild entstand durch die Geheimnistuerei und Abschottung, die nach außen hin betrieben wurde. Dabei wollte man eigentlich nur sicher sein, nicht von Karrieristen ausgenutzt und von inneren Auseinandersetzungen zerrissen zu werden. Dagegen aber helfen keine persönlich bestimmten Auswahlverfahren. Dagegen hilft nur ein gemeinsames weltanschaulich gefestigtes Fundament und die sachliche Auseinandersetzungen mit den neuen Entwicklungen.
Teilhabe an der Macht
Aber gerade dieses politische Bewusstsein fehlt dem BSW, das auf einer Weltanschauung fußt, die in der Lage ist die Welt zu erkennen, wie sie ist, und die Veränderungen zu vermitteln, die in ihr vorgehen. Das BSW verfolgt keine politische Agenda, keine politischen Ziele. Es formuliert Ansprüche wie alle anderen Parteien auch, die mehr oder weniger persönlichen Wunschvorstellungen entspringen. Es bedient einen Teil der Wählerschaft mit Sichtweisen und Forderungen, die den Interessen dieses Teils entsprechen. All das ist mehr oder weniger zufällig, gestützt auf Stimmungen. Aber es schafft kein politisches Bewusstsein auf der Basis einer Weltanschauung und schon gar nicht sind die Mitglieder dieser Partei durch eine gemeinsame Weltanschauung untereinander verbunden.
Dementsprechend brechen nun innerhalb der Partei die Widersprüche auf nach den Siegen bei den Landtagswahlen im Osten. Diese Brüche folgen der Aussicht auf Teilhabe an der Macht in Form von Regierungsbeteiligungen. Diese Entwicklung droht jeder Partei, sobald sie sich am Parlamentarismus der bürgerlichen Demokratie beteiligt. Selbst Parteien, die sich als Gegner der Klassengesellschaft verstehen, sind dieser Gefahr ausgesetzt.
Hatte sich die SPD im 19. Jahrhundert als Interessenvertreterin der Arbeiterklasse verstanden, gelangte sie mit ihrer zunehmenden Bedeutung immer öfter in die Zwickmühle zwischen der Übernahme von Verantwortung für die bürgerliche Gesellschaft und dem Festhalten an ihrer Klassenorientierung. 1914 war mit der Bewilligung der Kriegskredite dieser Zwiespalt zugunsten des bürgerlichen Staats entschieden. Diese Entwicklung setzte sich über das 20. und 21. Jahrhundert fort bis hin zur Zeitenwende. Die SPD stimmte nicht mehr nur als Getriebene Kriegskrediten zu, sondern betreibt nun selbst aktiv Aufrüstung durch die Schaffung eines Sondervermögens. Ähnlich war die Entwicklung bei den Grünen, nur noch wesentlich schneller. Was bei der SPD mehr als hundert Jahre gedauert hatte, vollzog sich bei der ehemaligen Friedenspartei innerhalb weniger Jahrzehnte. Im Gegensatz zur SPD hatte bei den Grünen nie eine weltanschauliche Grundlage für deren Politik vorgelegen. Sie waren von Anfang an eine Partei der moralischen Werte. Aber auch diese Ausrichtung führte mit zunehmender gesellschaftlicher Bedeutung zu einer Richtungsdiskussion zwischen den Realos, die Machtpolitik betreiben, und den sogenannten Fundamentalisten (Fundis), die an ihren moralischen Grundsätzen festhalten wollten. Heute bestimmen die Realpolitiker.
Nun deutet sich beim BSW eine ähnliche Entwicklung an, nur dass hier der Zerfallsprozess noch einmal schneller stattfindet. Während einige in ostdeutschen Landtagen Realpolitik machen wollen, gestützt auf die Wahlergebnisse und die Not der bürgerlichen Parteien, noch überhaupt Koalitionspartner zu finden, kämpft Wagenknecht von Berlin aus um die Reste weltanschaulicher Ansätze. Die Forderung nach dem Ende der Waffenlieferungen an Kiew, der Wiederaufnahme der Diplomatie und dem Verbot neuer amerikanischer Raketen in Deutschland erhält mit ihrer Aufnahme in die Präambeln der Koalitionsverträge im Osten den Anschein von Inhaltlichem und Prinzipientreue aufrecht.
Ob man sich in der Führung des BSW dessen bewusst ist, dass es sich dabei eigentlich nur noch um ein Feigenblatt handelt, ist nicht erkennbar. Aber man sieht sich genötigt, an dieser Frage Koalitionen scheitern zu lassen. Man will nicht den Eindruck von fehlendem Rückgrat erwecken, den man den anderen Parteien vorgeworfen hat und den der Bürger am Verhalten der meisten Parteien verabscheut. Bei genauerer Betrachtung aber sind die Unterschiede zwischen den Präambeln in Brandenburg und Thüringen bedeutungslos, an denen sich nun der Richtungsstreit in der Partei offenbart. Wer macht sich schon Gedanken über Präambeln und vor allem, welchen Einfluss haben sie auf die praktische Politik, wenn es um Krankenhäuser, Schulen und sonstige Alltagsprobleme der Menschen geht?
Nicht noch eine Partei
Es ist schwer zu sagen, wie ernst Wagenknecht und die Führung in Berlin den Streit um die Präambeln tatsächlich nehmen. Jedenfalls scheinen für sie Ansehen und Glaubwürdigkeit an der Einhaltung dieser Zusagen zu hängen, die man vor den Wahlen in Bezug auf Waffenlieferungen an die Ukraine und die Aufstellung neuer US-Raketen gemacht hatte. Sie scheinen überzeugt, dass sie sonst auf dem Weg sind, „das BSW zu einer Partei zu machen, von der es nicht noch eine braucht“ (2).
Die Wagenknechte sehen das Unterscheidungsmerkmal zwischen sich und den anderen auf der moralischen Ebene von Glaubwürdigkeit, Standhaftigkeit und Worttreue. Sie wollen die Demokratie gerechter und demokratischer machen. Das heißt aber nichts anderes, als dass sie die kapitalistische Gesellschaft reformieren, d.h. erträglicher machen wollen, überwinden wollen sie sie nicht. Dazu glauben sie, den Bürgern die besseren Konzepte und Modelle anbieten zu können. Sie halten sich für die besseren Interessenvertreter und Stellvertreter des Volkswillens.
Aber sie erkennen anscheinend nicht, dass das Volk sich in einer Klassengesellschaft nicht so einheitlich zeigt, wie der Begriff nahelegt, dass es aus unterschiedlichen Klassen besteht mit ganz verschiedenen Interessen. Ein solches Klassenbewusstsein herrscht beim BSW vielleicht theoretisch vor, aber seine Führung versteht nicht, welche praktische Politik daraus zu folgen hat. Da das BSW keine klassenorientierte Politik betreibt, unterscheidet es sich in seinem politischen Bewusstsein nicht von den anderen Parteien, nur in seiner moralischen Ausrichtung.
Aber diese Politik, stellvertretend für das Volkes dessen Interessen zu benennen und für deren Umsetzung zu sorgen, hat sich verbraucht. Diejenigen, die dem Volk weismachen wollen zu wissen, was das Beste für es ist, und vorgeben, als einzige in der Lage zu sein, das zu erreichen, erreichen das Volk immer seltener. Die Menschen merken immer öfter und deutlicher, dass die selbsternannten großen Heilsbringer ihnen kein Heil bringen. Die gesellschaftlichen Zustände entziehen einer solchen Stellvertreterpolitik immer mehr die Grundlagen.
Denn die wirtschaftlichen Grundlagen für eine solche Politik schwinden immer mehr wegen der antirussischen Sanktionen und deren Folgen: Preissteigerungen und Niedergang der Wirtschaft. Aber auch im Bewusstsein der Menschen findet eine solche Politik immer weniger Niederschlag. Sie trauen den Heilsverkündern immer weniger, nicht nur weil sie diese für Lügner halten, sondern weil sie auch merken, dass diese mit ihrem Latein am Ende sind. Diese Ahnungen und Stimmungen aber greift das BSW nicht auf, sondern versucht es ebenso als Stellvertreter nur mit anderen Forderungen und Parolen.
Keine neue Partei
Wagenknecht war auf dem richtigen Weg, als sie „aufstehen“ ins Leben rief. Sie war immer noch auf dem richtigen Weg, als sie mit Alice Schwarzer zusammen gegen den Krieg mobilisierte. Aber sie ging den Weg nicht weiter. Sie setzte die Mobilisierung, die sie angekündigt hatte, nicht fort. Sie erkannte wohl nicht, dass die Zeit der Stellvertreterpolitik vorbei ist, dass man die Menschen für die eigenen Interessen mobilisieren und organisieren muss. Zudem scheinen sie und ihre Mitstreiter nicht zu wissen, wie man das macht, und vor allem, wohin diese Mobilisierung führen soll.
Ihr Politikverständnis reicht über das Denken nach den Maßstäben der parlamentarischen Demokratie nicht hinaus. Da wird für Wahlergebnisse und Mandate gekämpft. Dazu reichen herausragende Persönlichkeiten, die mit herausragenden Ideen und Vorschlägen die Geschicke von Parteien und Gesellschaften bestimmen. Das ist das Denken des Bündnisses wie auch der anderen Parteien. Aber die Verhältnisse entwickeln sich so, dass die Stellvertreter die Geschicke der Menschen immer seltener erfolgreich verwalten können. Letztere werden wohl gezwungen sein, die eigenen Geschicke vermehrt selbst in die Hand zu nehmen, damit das dabei herauskommt, was für sie das Richtige ist.
Der gute Wille kann dem BSW nicht abgesprochen werden. Aber angesichts der veränderten Bedingungen ist es mit der Aufgabe überfordert. Es will weiterhin im alten Stil Politik machen, statt sich auf die Kraft und Einfallsreichtum derer zu stützen, die zunehmend für die eigenen Interessen in Bewegung geraten. Es braucht aber nicht nur die Mobilisierung der Menschen. Es bedarf auch eines klaren Ziels. Dieses ist noch nicht erkennbar. Aber die Suche danach drängt immer mehr über die bestehende Ordnung hinaus. Für den Erfolg bedarf es einer Organisation, einer Partei, die über die politische Klarheit verfügt, wohin dieser Weg gehen soll und ihn in der Diskussion mit jenen ermittelt, die auf der Suche sind. Zu all dem aber fehlt dem BSW die Analysefähigkeit der materialistischen Weltanschauung als Fundament und das Denken über die bestehende Ordnung hinaus. Insofern ist das Bündnis nur eine jener Parteien, von denen es nicht noch eine braucht.
(1) siehe dazu Rüdiger Rauls: Der Osten wird blau
(2) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.10.24: BSW-Spitze kritisiert den Kurs von Katja Wolf in Thüringen
Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
13.11.2024
10:40 | Rüdiger Rauls: Ampelausfall
Die Ampelkoalition ist Geschichte. Am Mittwochabend hat Bundeskanzler Scholz seinen Finanzminister Lindner entlassen. Geht es dabei nur um wiederholte Enttäuschungen und persönliche Zerwürfnisse oder zeichnen sich da weiterreichende grundlegende Entwicklungen ab?
Waschtag
Wie so oft, wenn Beziehungen auseinander gehen, wird anschließend schmutzige Wäsche gewaschen. Was lange zurückgehalten wurde, kommt nun an die Öffentlichkeit. Da scheinen sich Führungskräfte nicht von den normalen Menschen zu unterscheiden. Olaf Scholz beklagte sich bei seiner Ankündigung über den Bruch der Koalition darüber, dass FDP-Finanzminister Lindner das Vertrauen des Kanzlers so oft gebrochen habe. Ob das ausschlaggebend war für Scholzens Entscheidung, muss bezweifelt werden. Denn an Waschtagen wird nicht nur schmutzige Wäsche gewaschen, man will danach auch eine weiße Weste haben.
Der Bruch der Koalition bedeutet nicht nur deren Ende sondern auch einen Neuanfang unter anderen Vorzeichen, auf den sich nun alle politischen Kräfte vorbereiten. Früher oder später, der Zeitpunkt ist noch nicht ausgemacht, wird Scholz die Vertrauensfrage stellen mit der Ankündigung von Neuwahlen, sollte er nicht in seinem Amt bestätigt werden. Dass nun schmutzige Wäsche gewaschen wird, ist eine Vorbereitung auf diese Wahlen. Jede der beteiligten Parteien versucht, sich von der Schuld am Scheitern der Koalition rein zu waschen und sich im besten Lichte zu zeigen. Das klappt am besten, wenn man den anderen den schwarzen Peter zuschieben kann. Scholz beklagt den Vertrauensbruch Lindners und dieser den Erpressungsversuch durch den Kanzler.
Das aber ist die Oberfläche, auf der sich die Schuldzuweisung für die Öffentlichkeit abspielt. Darunter geht es um Wichtigeres. Denn es ist vielleicht kein Zufall, dass das Auseinanderfallen der Koalition am selben Tag stattfindet, an dem Donald Trump die Wahlen in den USA gewonnen hat. Dass die Ampel schon lange nicht mehr so richtig schaltete, ist kein Geheimnis. Sie stand öfter auf Rot als auf Grün. Aber mit Trumps Sieg war klar geworden, dass die Befürchtungen, die besonders die Europäer mit seiner Wiederwahl verbanden, nun Wirklichkeit werden könnten. Darauf gilt es sich nun vorzubereiten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, gesamteuropäisch, aber besonders auch in Deutschland.
Neue Nöte
An den Ursachen der deutschen und europäischen Ängste hat sich nichts geändert. Da ist die finanzielle wie militärische Unterstützung der Ukraine und die nachlassende Unterstützung bei den Völkern Europas für diesen Krieg. Da ist die Schwäche der europäischen, besonders aber der deutschen Wirtschaft, die besonders gegenüber China immer mehr an Konkurrenzfähigkeit und Innovationskraft verliert. Die Europäer befürchten, dass die Lösung all dieser Probleme unter einem Präsidenten Trump schwieriger für sie wird, denn schon jetzt droht er mit höheren Zöllen nicht nur auf chinesische sondern auch auf europäische Produkte. Besonders die Unterstützung der Ukraine dürfte für die Europäer teurer werden. Denn Trump hat schon angekündigt, dass die USA weniger zahlen werden und zudem erwarten, dass die Europäer die Kosten tragen. Für ihre eigene Verteidigung sollen sie mehr Geld ausgeben, am besten für Waffen aus amerikanischen Rüstungsschmieden. Wer von den USA geschützt werden will, muss mehr zahlen. Das gilt nicht nur für Europa, auch Südkorea hat der neue Präsident bereits damit gedroht. Denn Trump ist in erster Linie Geschäftsmann und weniger Politiker.
Das größte Problem aber, vor dem die Europäer stehen, ist der Geldmangel zur Bewältigung all dieser Aufgaben und Krisen. Hier liegt auch der eigentliche Kern des Konflikts innerhalb der Ampel und besonders zwischen Scholz und Lindner. Das findet in der Erklärung des Bundeskanzlers vom 6. November zum Bruch der Koalition nur am Rande knappe Erwähnung in den Worten: „Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir gemeinsam stehen, brauchen wir einen größeren finanziellen Spielraum“. (1)
Deutlicher wird da Lindner in seiner Stellungnahme am Tage danach. Natürlich kommt auch er ohne Schuldzuweisungen nicht aus. Aber über das Persönliche hinaus, das bei Scholz einen sehr breiten Raum einnahm, machte Lindner deutlich, worum es geht in dieser Auseinandersetzung. Er spricht davon, dass „unser Land einen neuen wirtschaftlichen Aufbruch benötigt … um die grundsätzliche Schwäche unseres Landes zu überwinden“ (2).
Beide, Scholz wie Lindner, sind sich der schlechten Lage der deutschen Wirtschaft bewusst. Keiner von beiden aber verliert ein Wort darüber, dass sie diese Notlage selbst herbeigeführt haben durch die antirussischen Sanktionen mit ihren Preissteigerungen und die Notlage bei den Energieträgern. Wie sollte es anders sein, gibt Scholz Russland die Schuld: „Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Sicherheitslage auf Jahre tiefgreifend verändert“(3). Aber diese Schuldzuweisungen helfen der deutschen Wirtschaft gar nichts.
Wenn sich beide auch weitgehend einig sind in der Einschätzung der Lage, so verfolgen sie in der entscheidenden Frage, woher das Geld kommen soll für Aufrüstung und Wirtschaftsförderung, vollkommen verschiedene Ansätze. Scholz, seine SPD und die Grünen wollen diese Probleme über mehr Schulden lösen und dafür die Schuldenbremse des Grundgesetzes aussetzen. „Der russische Angriffskrieg„ stellt für Scholz eine „außergewöhnliche Notsituation“ dar, die einen „Überschreitensbeschluss“ der Schuldenbremse nicht nur rechtfertigt sondern auch notwendig macht. (4).
Scholz hält die Einschränkungen der Schuldenbremse für überzogen, denn „unter allen wirtschaftsstarken Demokratien haben wir mit weitem Abstand die geringste Verschuldung“(5). Diese Einschränkungen wirken sich auf den Haushalt aus, der aufgrund der wachsenden Ausgaben und vor allem der zu erwartenden geringeren Steuereinnahmen wegen der schwachen Wirtschaftslage ein Defizit von zuletzt 20 Milliarden auswies. Dabei beinhaltet er für das Jahr 2025 eine Neuverschuldung von 40 Milliarden Euro; das entspricht knapp einem Zehntel des gesamten Haushalts.
Kapitalismus in Not
Trotz neuer Schulden und trotz der Sondervermögen, die im ordentlichen Haushalt nicht erscheinen, reicht das Geld nicht. Trotz all dieser widrigen Umstände hat Finanzminister Lindner sich geweigert, „die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen“(6), was Scholz nach Lindners Darstellung von ihm „ultimativ“ verlangt hatte. Daraufhin hatte Scholz ihn entlassen. Was wie ein Streit zwischen ideologisch verblendeten und sich stur stellenden Rechthabern aussieht, ist mehr.
Lindner drückte es so aus: „Jetzt steht unser Land vor einer neuen Richtungsentscheidung“(7). Selbst Olaf Scholz scheint klar zu sein, was auf dem Spiel steht, und das ist mehr als nur der Haushalt für 2025. Denn die Frage lautet: Ukrainehilfen oder Förderung der eigenen Wirtschaft. Beides scheint nicht mehr zu gehen. Denn so Scholz, „die [Ukraine-] Hilfen aus dem laufenden Haushalt zu finanzieren bedeute, dass Straßen und Schulen nicht ausgebaut werden könnten, die Wirtschaft nicht unterstützt werden könne.(8).
Während Lindner noch nur von einer Richtungsentscheidung spricht, macht Scholz deutlich, was er befürchtet, wenn nicht mehr Geld zur Verfügung steht. Wenn die Ukraine weniger Geld aus Europa bekommt und noch weniger aus den USA, wird sie den Krieg gegen Russland verlieren. Andererseits ist Scholz aber auch nicht bereit, „unsere Unterstützung für die Ukraine und Investitionen in unsere Verteidigung zulasten des sozialen Zusammenhalts zu finanzieren, zulasten von Rente, Gesundheit oder Pflege“ (9). Dann, so befürchtet er, „zündet man das Land an(10)“.
Beide, sowohl Lindner als auch Scholz, scheinen sich des Ernstes der Lage bewusst zu sein. Es steht mehr auf dem Spiel als nur der Haushalt oder ein akademischer Streit über die Schuldenbremse. Doch warum gibt Lindner dann nicht nach, wenn auch er den Ernst der Lage zu erkennen scheint? Die Kehrseite der Verschuldung ist weitere Verschuldung und Zahlungsunfähigkeit. Dafür sind gerade die USA ein mahnendes Beispiel, die jährlich bald eine Billion Dollar Zinsen zahlen müssen. Auch wenn das Land sich weiterhin an den Finanzmärkten aufgrund seiner Marktmacht ständig weiter verschulden kann, so engen die gewaltigen Zinslasten die Handlungsfähigkeit des Staates immer mehr ein.
Immer schneller und öfter muss die Schuldengrenze neu verhandelt werden zwischen den politischen Kräften. Immer öfter und schneller drohen Stillstand in der Verwaltung, Schließung von Behörden, Zahlungsstopp gegenüber Staatsbediensteten und Unternehmen. Immer wieder neu droht auch eine Herabsetzung der Bonität der USA durch die Ratingagenturen. Das hat praktische Konsequenzen. Das Land muss immer höhere Zinssätze anbieten für seine Anleihen, damit die Investoren noch zugreifen. Das bedeutet aber, dass der amerikanische Staat immer abhängiger wird von den Geldgebern an die Finanzmärkten.
Wie Scholz zu Recht feststellt, weist Deutschland unter allen „wirtschaftsstarken Demokratien“ die niedrigste Verschuldung aus. Das beschert Deutschland niedrige Zinssätze, wenn es an den Kapitalmärkten Geld aufnimmt. Diese machen fast nur die Hälfte dessen aus, was die USA zahlen müssen. Diese Möglichkeit, sich billig zu verschulden, will Lindner nicht aufs Spiel setzen. Es steht also die Entscheidung an, sich weiterhin zu günstigen Bedingungen Geld zu verschaffen, aber damit politisch nur noch beschränkt handlungsfähig zu sein, oder aber höhere Schulden in Kauf zu nehmen, um politisch bestimmen und Einfluss ausüben zu können.
Denn eines wird an dieser Entwicklung auch deutlich: Der Kapitalismus der sogenannten wirtschaftsstarken Demokratien ist nicht so stark, wie sich Scholz einredet. Er ist nicht mehr in der Lage, die eigenen politischen Ziele und seine gesellschaftlichen Aufgaben aus der Wirtschaftskraft seiner Unternehmen heraus zu finanzieren. Stattdessen saugen die sogenannten wirtschaftsstarken Demokratien ihre Stärke aus den Mitteln, die ihnen die Geldgeber an den Finanzmärkten zur Verfügung stellen. Damit werden die westlichen Staaten immer abhängiger von Investoren und deren Interessen. Diese wollen in der Regel mehr Zinsen, was die Kosten der Staatsführung erhöht.
Die Auseinandersetzung, die sich zwischen Lindner und Scholz abspielt, ist die um die Finanzierung der Zukunft der führenden kapitalistischen Staaten. Können sich die Staaten in Zukunft noch selbst finanzieren oder werden sie immer süchtiger nach den Infusionen der Geldgeber, machen sich immer abhängiger von diesen und dadurch immer erpressbarer? Dessen sind sich beide vielleicht nicht bewusst, aber sie scheinen es zu ahnen. Aber es wird deutlich, dass die Staaten des politischen Westens unter den gegebenen finanziellen Bedingungen nicht weiter in Lage sind, entweder ihre Weltherrschaft weiter zu finanzieren oder aber die Lebensbedingungen ihrer Bürger. Denn auch eine Ausweitung der Verschuldung, wie sie nun von Scholz und seinen Unterstützern vermutlich durchgesetzt wird, geht nach Abzug der Zinsen zulasten der finanziellen Ausstattung des Staates. Dieses Missverhältnis wird größer, wenn es nicht gelingt, die Wirtschaft leistungsfähiger zu machen. Der westliche Kapitalismus hat offensichtlich die Grenzen seiner eigenen Finanzierbarkeit überschritten.
(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 8.11.24: Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen
(2) ebenda
(3) ebenda
(4) ebenda
(5) ebenda
(6) ebenda
(7) ebenda
(8) FAZ vom 8.11.24: Lindner: „Nein“, Scholz: „Doof“
(9) FAZ vom 8.11.24: Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen
(10) FAZ vom 8.11.24: Lindner: „Nein“, Scholz: „Doof“
Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
12:50 | Leser Kommentar
Wenn die AFD-Fraktion nicht zu dämlich dafür sein sollte, wäre es opportun, nicht Mißtrauen sondern Vertrauen in den Bundeskanzler auszusprechen. Wenn unser geliebte Bundeskanzler noch etwas weiter herumwurschtelt, wird die Akzeptanz für die Blockparteien noch weiter sinken. Die Ernte würde ich an Stelle der AFD nach dem Zusammenbruch der Gasversorgung (Winter 25/26 ?, wenn es ein kalter Winter werden sollte) einfahren, nicht das noch nicht reife Getreide versuchen zu früh zu ernten.
07.11.2024
12:30 | mises: Trump in den USA nach Milei in Argentinien. Der Kampf gegen die Unfreiheit nimmt Fahrt auf
Donald J. Trump ist als US-Präsident wiedergewählt worden, und wir meinen (und hoffen), dass dies – nach der Wahl Javier Mileis zum Präsidenten Argentiniens vor knapp einem Jahr – einen weiteren Schritt in Richtung Freiheit und Selbstbestimmung für die Menschen bedeuten kann.
Das Ludwig von Mises Institut Deutschland ist nicht politisch aktiv, und auch wir sind es nicht, die diesen Beitrag hier als Autoren und nicht als Vertreter des Instituts schreiben. Wir sehen unsere Aufgabe in der Vermittlung und Verbreitung der ökonomischen Theorien, die in der Tradition der Österreichischen Schule der Nationalökonomie stehen, wie sie insbesondere Ludwig von Mises (1881–1973) ausgearbeitet hat.
.. abwarten. Noch ist er nicht Präsident. TS
05.11.2024
17:58 | AWO: Die Wahrheit liegt niemals in der Mitte
Bei Diskussionen, was die Wahrheit ist, wird derjenige einen feigen Ausweg wählen, der erkennen muss, dass er seine Version nicht schlüssig verteidigen kann, aber nicht zugeben will, dass er falsch liegt. Er flüchtet sich in die Floskel, „die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte“. Dem muss widersprochen werden, denn die Wahrheit kann nicht demokratisch ermittelt werden.
Ich steige hier nicht in die Diskussion ein, ob es überhaupt eine absolute Wahrheit gibt. Ich bin der Meinung, dass auch diese Überlegungen die Voraussetzung bilden sollen, eine objektive Wahrheit nicht als solche anerkennen zu müssen, wenn sie jemandem nicht in den Kram passt. Besonders perfide sind auch Halbwahrheiten. Damit meine ich eine Lüge, die an eine kleine passende Wahrheit geknüpft ist. Churchill hat das so formuliert: „Im Kriege ist die Wahrheit so kostbar, dass sie nie anders als mit einer Leibwache von Lügen auftreten sollte.“ Diese Aussage zeigt auf, dass es sehr wohl eine Wahrheit gibt und zumindest Churchill diese Wahrheit kannte. Diese Vermischung von Lüge und Wahrheit ist ein naher Verwandter von „die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte“, wenn nicht sogar die Voraussetzung dafür.
Die Kleine Rebellin
Ein sehr lesenswerte Heisenko
04.11.2024
18:56 | konjunktion: Systemfrage: BlackRock und das WEF – Wer beeinflusst und steuert wen?
Im letzten Artikel Systemfrage: BlackRock und die BIZ – Verstrickungen, Gemeinsamkeiten, Interessen bin ich auf die Verbindungen zwischen BlackRock und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) eingegangen, um aufzuzeigen, dass BlackRock für mich die „Spinne im Netz“ im Kontext der Zentralbanken und des Finanzsystems darstellt. Natürlich kann und muss man auch immer andere wie Vanguard, State Street, Fidelity oder Palantir benennen, die in einer ähnlichen Liga spielen. Aber gerade die beiden Erstgenannten sind Teil der BlackRock-Familie und können damit aus meiner Sicht mit BlackRock gleichgesetzt werden. Und natürlich muss man die Verstrickungen und Verbindungen von BlackRock auch mit anderen Institutionen, Gruppierungen und Entitäten beleuchten, um die Machtkonzentration dieses Unternehmens besser verstehen zu können. Denn „nur“ gute Verbindungen zur BIZ alleine, zeigen nicht annähernd auf, wie und wo BlackRock überall seine Finger im Spiel hat. Daher beschäftigt sich der nachfolgende Beitrag mit den Verbindungen und Gemeinsamkeiten von BlackRock und des Weltwirtschaftsforums (WEF):
Der Artikel beleuchtet detailliert die engen Verbindungen und gemeinsamen Interessen zwischen BlackRock und dem Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum, WEF) und beschreibt, wie BlackRock, Vanguard und State Street durch ihre gewaltigen Vermögensbestände und strategischen Positionen auf den Finanzmärkten eine erhebliche Macht in wirtschaftlichen und politischen Kreisen weltweit ausüben.
BlackRock ist eng in das WEF-Netzwerk eingebunden, vor allem durch Larry Fink, den Vorstandsvorsitzenden, der im „Board of Trustees“ sitzt und regelmäßig auf Veranstaltungen des WEF zu Themen wie Nachhaltigkeit und ESG (Environmental, Social, and Governance) spricht. Weitere Führungskräfte von BlackRock, wie Philipp Hildebrand und Pam Chan, sind ebenfalls aktiv im WEF und fördern dort globale Wirtschaftsinitiativen, die auf eine "nachhaltige Transformation" abzielen.
BlackRock hat durch seine Beteiligungen und seinen Einfluss auf internationale Standards eine beachtliche wirtschaftliche Macht erlangt. Kritiker bemängeln, dass dies eine zu große Machtkonzentration in den Händen weniger Akteure bedeutet. Die enge Zusammenarbeit von BlackRock und dem WEF mit Regierungsorganen lässt befürchten, dass diese Unternehmen durch indirekten Einfluss politische Entscheidungen lenken können. Die Analyseplattform Aladdin von BlackRock, die weltweit von Finanzinstituten genutzt wird, kann das globale Finanzsystem von den Modellen und Strategien BlackRocks abhängig machen. JE